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Merle Collet, 28, ist ausgebildete Schauspielerin. Kleinere Rollen hatte sie schon viele, unzählige Vorsprechen und Castings. Häufig scheitert sie in der letzten Runde, kurz vor dem Ziel. Aufgeben will sie trotzdem nicht, denn ihr Gefühl sagt: Irgendwann zahlt sich das alles aus.

© Tim Dobrovolny/promo

Abseits der Berlinale: Mein Leben als junge Schauspielerin

Wer träumt nicht von einem Leben als Schauspielerin? Am Berlinale-Palast sieht das alles so glänzend, so einfach aus. Doch der Weg dorthin ist voller Absagen und Enttäuschungen. Ein Erfahrungsbericht.

Mensch, ärgere dich nicht! Ein Strategiespiel ist das nicht. Da braucht man vor allem jede Menge Glück. Voller Optimismus marschiert man mit seinen Figuren gen Ziel. Möchte sie alle schnell unterbringen und ist meist nur noch wenige Schritte davon entfernt. Doch dann taucht der rote Konkurrent auf, würfelt nur noch Sechsen und schlägt die eigenen blauen Spielfiguren. Eine nach der anderen.

Das Glück ist dahin. Zurück an den Start. Alles auf Anfang. Warten auf die nächste Sechs.

Es hat mich schon immer geärgert und ärgert mich auch heute noch. Das Spiel findet jedoch nicht mehr auf dem Brett statt, sondern in meinem Leben: Ich bin Schauspielerin. Und ich bin häufig die blaue Spielfigur.

Das rote Lämpchen an der Kamera leuchtet. „Hallo, mein Name ist Merle Collet, ich bin 28 Jahre alt, Schauspielerin und lebe in Berlin. Vielen Dank für die Einladung. Ich freu mich! Und ich habe kein Problem mit Nacktheit, solange die Rolle das rechtfertigt. Und ja, ich mag meinen Körper.“ Es folgen drei unterschiedliche Szenen. Im Bikini. Nackt müsse man dann erst beim Dreh sein. Es ist ein Casting für einen Tatort aus Weimar mit Nora Tschirner und Christian Ulmen als Ermittlerduo. Die gesuchte Rolle ist eine FKK-Kellnerin. „Du bist in der engen Auswahl! Komm, das packen wir“, sagt Uta Bremer von der Agentur Bremer&Rump, die mich seit August 2013 vertritt.

Der Tatort läuft Weihnachten. Ohne mich. Die Rolle hat eine andere bekommen. Mal wieder.

Mal wieder hatte ich gehofft, geträumt, mir gewünscht, dass es klappt. Mein linkes Augenlid zuckte nervös. Dann der Anruf. „Merle, es tut mir so, so leid“, sagt meine Agentin. „Ich hätte es dir sehr gegönnt. Sie haben eine andere genommen. Aber wir machen weiter. Ich bin mir sicher, da wird noch viel bei dir passieren.“

Eine kleine Rolle im Tatort kann alles verändern

Es wäre ein unglaublich wichtiger Schritt gewesen, über eine imaginäre Türschwelle, von der viele sprechen. Eine Rolle im Tatort, wie klein sie auch ist, verursacht die größtmögliche Aufmerksamkeit. Die „Bild“-Zeitung zum Beispiel macht aus Tatortneulingen ständig die „Stars von morgen“. Häufig sind die Schauspieler gleich in drei weiteren Tatortproduktionen zu sehen. Als Opfer, Mörder, Hauptverdächtige.

Ist man so kurz davor, beginnt man zu träumen. Es kribbelt im Bauch und es ist wie verliebt zu sein. Sieht man dann die Rolle im Fernsehen oder Kino, fühlt es sich an wie Liebeskummer. „Das hätte ich sein können.“

Wenn jetzt wieder die internationale Schauspielprominenz über den roten Teppich des Berlinale-Palasts läuft, sieht das alles so einfach aus. Doch dort hinzukommen ist ein langer Weg. Vorsprechen, abwarten, fluchen, hoffen, vorsprechen, fluchen, vorsprechen, hoffen ...

Viele schaffen es nicht. Verlässliche Zahlen gibt es nicht, aber von den in Deutschland gemeldeten 20 000 darstellenden Künstlern ist rund ein Viertel arbeitslos. Die Hälfte davon wohnt angeblich in Berlin.

Vor sechs Jahren habe ich meine Ausbildung in Tanz, Gesang und Schauspiel in Hamburg abgeschlossen. Es folgten unzählige Castings: für Kinofilme, für Vorabendserien, für Fernsehfilme, Hauptrollen, Episodenrollen, Nebenrollen. Ich habe vor der Kamera geweint, geschrien, in der Nase gepopelt, mir Perücken auf den Kopf gesetzt. Ich war eine unbeirrbare Yogalehrerin, eine junge Krebspatientin, eine ehrgeizige Anwältin mit niederländischem Akzent. Mit den Aufnahmen könnte man inzwischen wahrscheinlich einen komödiantischen, äußerst emotionalen Dreiteiler füllen.

Einiges hat geklappt. Vor allem Werbespots, aber auch kleine Rollen für erfolgreiche Fernsehformate. Und Kurzfilme wie beispielsweise ein Abschlussfilm der Filmuniversität Babelsberg, in dem ich im vergangenen Jahr eine kleine Traumrolle übernehmen durfte.

Aber das alles ist noch sehr weit weg vom Roten Teppich vor dem Berlinale-Palast. Noch fehlt die große Rolle und damit auch der große Geldsack, der es mir ermöglicht, allein von der Schauspielerei leben zu können.

Zwischenzeitlich habe ich an staatlichen Hochschulen für Schauspiel vorgesprochen und die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig bestanden. Doch wieder war ich nur Nachrückerin auf der Liste der sechs Schauspielerinnen, die sie ausbilden wollten. Und natürlich sagte keine der anderen ab.

Wieder kurz vorm Ziel geschlagen. Wieder an den Start.

Ein Casting für eine neue wöchentliche ARD-Serie, die beste Freundin der Protagonistin soll ich spielen. Vier dicke Drehbücher schickt mir die Produktionsfirma nach dem Casting per Post nach Hause. Mein Name in grauen Lettern vornedrauf gedruckt. Mein Bauch voller Tausendfüßler.

Einige Wochen später landen die Drehbücher in der Altpapiertonne. Mein Bauch voller Reißzwecken.

Ich weiß, was ich kann. Ich gebe nicht auf

Weitermachen. Die Hauptrolle für ein neues Fernsehformat soll ich spielen! Ein Pilotfilm soll Ende März gedreht und gut honoriert werden. Doch bei den Probeaufnahmen fühle ich mich gar nicht wohl. Keine Leidenschaft, keine Liebe zum Detail. Will ich so was spielen? Dafür aus Berlin weggehen? Ich sage ab, verzichte auf das Geld. Es geht mir gut. Weitermachen.

Eine Hauptrolle in einer Komödie. Das Kinodebüt einer Berliner Regisseurin. Bei dem Casting ist sie persönlich anwesend, eine schöne Ausnahme. Schwanger soll ich sein, mit dickem Bauch, Witz und Herz. Wir reden über die Rolle, entwickeln die Szenen, lachen und am Ende gibt es vor allem Lob. „Diesmal muss es klappen“, denke ich, als ich mir das Kissen nach dem Casting wieder unter dem Kleid hervorziehe und das Treppenhaus eines Kreuzberger Altbaus hinunterhüpfe. Drei Wochen vergehen, zwei zuckende Augenlider. Das Kribbeln deutet auf Liebe. Wie eine pubertierende Fünfzehnjährige laufe ich über den Hackeschen Markt, vorbei am Kino und schmunzele bei dem Gedanken, hier vielleicht auch bald über die Leinwand zu flimmern.

Bis das Telefon klingelt und mir das Herz bis in die Socken rutscht. Fünf Tränen, dann weitermachen.

Natürlich kann jede Absage einen winzigen Teil des Selbstbewusstseins wegknabbern. Man fragt sich, was hat die, was ich nicht habe? Aber das verbiete ich mir. Ich weiß, dass ich spielen kann, dass ich ein besonderer Typ bin: dunkle Augenbrauen und blondes Haar, ein Auge grün, das andere braun, spontan, witzig. Und, hey: Ich war mal deutsche Vizemeisterin im Steppen!

Trotzdem habe ich begonnen, mich anders zu orientieren. Ich studiere Deutsche Literatur und Kunstgeschichte an der Humboldt-Uni, arbeite nebenher in einer Stiftung und schreibe seit Kurzem für den Tagesspiegel. Das alles ist ein wichtiges Fundament und schützt vor Selbstzweifeln. Eine Art Rettungsring.

Trotzdem werde ich weitermachen, zuversichtlich bleiben. Ich werde diesen großen Traum nicht aufgeben. Neue Anfragen sind schon da. Mein Bauchgefühl sagt, dass sich das alles auszahlen wird.

Irgendwann werde ich die Sechsen würfeln, an allen anderen vorbei ins Ziel marschieren. Mich nicht mehr ärgern. Ich werde einfach spielen.

Mehr Infos unter www.merlecollet.de und www.bremer-rump.de

Merle Collet

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