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Berlin: Absolut filmreif

Das Babylon in Mitte wird heute 75 Jahre alt. Wie kein anderes Berliner Kino hat es Geschichte geschrieben

Obwohl der Film bei der Kritik durchfiel, rannten die Menschen in Scharen hinein, und so war er denkbar geeignet als Premierenprogramm: Mit dem Stummfilm „Fräulein Else“ eröffnete am 11. April 1929 das Babylon-Kino in Mitte. Und genau diesen Film zeigt das Haus noch einmal, über den die Kritiker damals schrieben: So einen Film „vor einem geladenen Publikum als große Premiere zu zeigen, ist eine unverständliche Anmaßung“.

Am 11. April 1929 nahmen zum ersten Mal Kinobesucher in dem Saal Platz, den der Architekt Hans Poelzig in ein neues Wohnhaus integrierte. Knapp 1300 Sitzplätze fasste das Kino, heute sind es 447. Die eigens installierte Kinoorgel, mit der die Geräusche für den Stummfilm erzeugt werden konnten, kam voll zur Geltung. Das Bundesarchiv verwahrte eine Kopie von „Fräulein Else“, die es dem Kino nun auslieh.

Das Kino ist einer der wichtigsten Orte der Berliner Filmgeschichte geworden. Bekannt ist es auch wegen der bis heute voll funktionstüchtigen Kinoorgel. Kaum war sie allerdings damals installiert, gehörte sie technisch zum alten Eisen, denn der Tonfilm kam auf. Bekannt ist das Kino aber auch wegen Hans Poelzig, dem berühmten Baumeister, dessen drittes Kino das Babylon war. Von Poelzig steht in Berlin zum Beispiel noch das Haus des Rundfunks an der Masurenallee. Das Kino Capitol, ebenfalls aus seiner Feder und Premierenort von „Fräulein Else“, gibt es nicht mehr. Und auch die ehemalige Markthalle, die er für Max Reinhardt zum Schauspielhaus umbaute, und die später Friedrichstadtpalast hieß, ist 1984 abgerissen worden.

Berüchtigt war die Nachbarschaft des Babylon in den 30er Jahren für seine politischen Auseinandersetzungen. Höhepunkt war der Polizistenmord vor den Türen des Babylon. Oberwachtmann Willig und Hauptmann Anlauf wurden durch Schüsse getötet. Vor Gericht stand der vermutete Täter erst 60 Jahre später – er hieß Erich Mielke. Im Foyer erinnert eine Gedenktafel außerdem an den ehemaligen Vorführer Rudolf Lunau, der im Dritten Reich wegen „kommunistischer Agitation“ zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt worden war.

Im Krieg wurde das Haus nur leicht beschädigt, man machte aus dem Saal für kurze Zeit ein Theater, dann aber wieder ein Kino, zunächst für Sovexport-Filme. 1955 gehörte es zu den Berliner Kinobetrieben und war lange Zeit die wichtigste Adresse für Filmpremieren der Defa. Zum Beispiel am Tag vor dem Heiligen Abend 1953. Da stand der Regisseur Wolfgang Staudte („Die Mörder sind unter uns“) mit seinem kleinen Hauptdarsteller Thomas Schmidt im Foyer des Babylon und ließ sich von einem begeisterten Publikum feiern. Der Film, der damals Premiere hatte, avancierte zu einer Legende in der damaligen DDR: „Der kleine Muck“.

Zu den Premieren kam auch die Staatsführung, Stammgäste aber waren zum Beispiel Viktor Klemperer und Ulrich Plenzdorf. Leicht hatte es das Babylon in den Nachkriegsjahren mit seiner Filmauswahl aus den sozialistischen Bruderländern nicht. „Fern von Moskau“ oder „Neue Kämpfer werden auferstehen“ standen auf dem Spielplan, während auf den Leinwänden der Kinos in den Westsektoren Esther Williams als „Badende Venus“ planschte.

Erst als die großen Kinos, wie das Kosmos an der Frankfurter Allee, vor allem aber das International an der Karl-Marx-Allee öffneten, verlor das Babylon seine Rolle als Premierenkino. Die Hauptrolle in den Herzen der Kinofans spielte es weiter. Und in den 80er Jahren als Heimstatt des Archivfilmtheaters Camera, das an zwei Tagen in der Woche künstlerisch wichtige Filme zeigte, hatte es wieder einen Sonderstatus. Zum Programm gehörten auch Filme von Rainer Werner Fassbinder, wie „Die Ehe der Maria Braun.“ Am Tag nach dem Fall der Mauer, dem 10. November 1989, lief ein 25 Jahre alter Film von Konrad Wolf: „Der geteilte Himmel“.

Als Filmkunsthaus hat sich das Babylon auch nach dem Fall der Mauer profiliert, und musste doch den großen Saal für mehrere Jahre schließen. Nicht, weil zu wenige Zuschauer gekommen wären. Nein, ein verregneter Sommer setzte dem seit Jahren maroden Bau so zu, dass Teile der Decke im Saal einzustürzen drohten. Die Bauaufsicht sperrte das Kino, Filme konnten lange nur im Foyer gezeigt werden.

Die Zuschauer schreckte das nicht. Sie hielten dem Babylon die Treue und tun es bis heute. Seit zwei Jahren sind das Haus und das Kino denkmalgerecht saniert. Es ist Berlinale-Spielort und wird vom Senat mit 360000 Euro in diesem und im nächsten Jahr unterstützt.

Die Jubiläumsvorstellung von Paul Czinners „Fräulein Else“ beginnt am 18. April um 19 Uhr. Anschließend gibt es den Film „Delikatessen“ von 1930. Die Geschichte des Babylon hat Michael Hanisch aufgeschrieben. Sie ist als Broschüre im Kino erhältlich .

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