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Berlin: Acht Seiten Vorwürfe der Tempodrom-Ermittler

Staatsanwaltschaft konkretisiert in Schreiben an Finanzsenator Sarrazin Verstöße gegen Verfassung und Haushaltsrecht

Die Staatsanwaltschaft hat offenbar keine Zweifel mehr daran, dass der umstrittene Millionenzuschuss der IBB für das Tempodrom im Herbst 2002 gegen die Landesverfassung und gegen das Haushaltsrecht verstoßen hat. Das geht aus einem Brief des zuständigen Oberstaatsanwaltes Bernhard Brocher an Finanzsenator Thilo Sarrazin hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt. Offen bleibt allerdings in dem jetzt bekannt gewordenen Schreiben der Staatsanwaltschaft, ob die festgestellten Verstöße den Verdacht der Untreue gegen die SPD-Senatoren Peter Strieder und Thilo Sarrazin erhärten. Dafür versuchen die Ermittler derzeit vor allem die Frage zu klären, ob und wie weit Strieder und Sarrazin vorsätzlich handelten.

In dem achtseitigen Brief, der Sarrazin am 25. Februar persönlich zugestellt wurde, teilt die Staatsanwaltschaft dem Senator mit, dass die bis dahin nur gegen Strieder geführten Ermittlungen wegen Untreue jetzt gegen ihn ausgeweitet worden sind. Dann folgt eine detaillierte Auflistung der Vorwürfe gegen ihn. Dabei lassen die Ermittler keinen Zweifel daran, dass nach ihrer Ansicht der Beschluss vom Oktober 2002 zum 1,74-Millionen-Euro-Zuschuss der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) verfassungswidrig war. Sarrazin saß damals, wie auch Strieder, als Senator im zuständigen IBB-Ausschuss. Sarrazin und Strieder lehnten eine Stellungnahme zu dem Schreiben ab. Sie hatten in der Vergangenheit wiederholt ihr Vorgehen damit verteidigt, eine Insolvenz verhindern zu wollen. Peter Strieder sagte dem Tagesspiegel, Sarrazin, Staatssekretär Strauch und er selbst hätten sich „nichts vorzuwerfen“.

Die Opposition sieht sich durch das Schreiben in ihrer bisherigen Kritik bestätigt. Für FPD-Fraktionschef Martin Lindner erhärtet der Brief der Staatsanwaltschaft den Verdacht der Untreue zu Lasten des Landes Berlin: „Das, was hier aufgeführt ist, geht weit über einen Anfangsverdacht hinaus, von dem bislang die Rede war“, urteilt Jurist Lindner. Die Staatsanwaltschaft hatte, wie berichtet, am 25. Februar die Ermittlungen in der Tempodrom-Affäre gegen Sarrazin sowie den Staatssekretär der Wirtschaftsverwaltung, Volkmar Strauch (SPD) ausgeweitet. Anklage ist bislang nicht erhoben worden.

Die Liste der Verstöße, die der Staatsanwalt im Brief an Sarrazin vorträgt, ist umfangreich. So sei die angebliche Gegenleistung für die als Sponsoring bezeichnete Zahlung ans Tempodrom nicht einmal annähernd angemessen gewesen: Für 1,74 Millionen Euro gab es für die IBB im Gegenzug fünf Freikarten pro Veranstaltung, außerdem wurde der im Jahr zuvor geschlossene Sponsoringvertrag um fünf Jahre bis ins Jahr 2036 verlängert – nach Ansicht der Staatsanwälte eine nutzlose Regelung.

Weiter führt der Staatsanwalt aus, dass es bei der Millionenspritze erforderlich gewesen wäre, wenigstens nachträglich eine Genehmigung des Abgeordnetenhauses einzuholen – was laut Staatsanwaltschaft nicht geschah. Nach Ansicht der Staatsanwälte verletzte Sarrazin das Haushaltsrecht, weil weder ein unvorhergesehenes noch ein unabweisbares Bedürfnis Grund der Zahlung gewesen sei – anders als noch ein Jahr zuvor, als das Land dem Tempodrom kurz vor der Fertigstellung des Baus knapp sieben Millionen Euro zugeschossen hatte. Verfassungswidrig war es nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, dass die Zahlung der Bank nachträglich auf den so genannten Bankbeitrag angerechnet werden sollte, den die landeseigene Bank an den Landeshaushalt abführen sollte – und das ohne dafür die Zustimmung des Senats, der Finanzverwaltung und des Abgeordnetenhauses einzuholen.

Einen weiteren Verstoß sieht die Staatsanwaltschaft darin, dass Sarrazin und Strieder ihre Zustimmung dazu gaben, einem Projekt Geld zu bewilligen, dessen Gesamtfinanzierung zu dem Zeitpunkt gar nicht gesichert war. Darüber hinaus hat Sarrazin nach Ansicht der Staatsanwaltschaft auch seine Pflicht verletzt, das Vermögensinteresse der Investitionsbank zu wahren. Die Aufgabe der Bank sei auf Aufgaben öffentlicher Strukturpolitik beschränkt. Eine solche sei der Zuschuss für das Tempodrom aber nicht gewesen, sondern ein Zuschuss zu Gunsten einer privaten Rechtsperson.

Abschließend befindet die Staatsanwaltschaft, der Millionenzuschuss wäre nur sachgerecht gewesen, wenn dadurch die drohende Insolvenz des Kulturhauses endgültig hätte abgewendet werden können. Dies war aber gerade nicht der Fall, wie auch aus Bankunterlagen hervorgeht, die dem Tagesspiegel vorliegen. Bereits am 30. Oktober 2002, knapp einen Monat nach der Bewilligung der 1,74 Millionen fürs Tempodrom, schrieb die IBB an Peter Strieder, „dass das zusätzliche Sponsoring nicht ausreicht, um die Stiftung langfristig auf eine tragfähige wirtschaftliche Basis zu stellen“.

Für Oppositionspolitiker Lindner stellt das Schreiben klar, dass die politische Kritik an den Millionenhilfen für das Tempodrom gerechtfertigt war: „Die Rechtsverstöße und Regelwidrigkeiten liegen klar auf der Hand“, sagt der FDP-Fraktionschef mit Blick auf jüngste Äußerungen von Generalstaatsanwalt Dieter Neumann. Der hatte kürzlich im Rechtsausschuss des Parlaments gesagt, die Ermittlungen gegen Strieder und Sarrazin stünden erst ganz am Anfang. Ähnlich hatte sich anlässlich der ausgeweiteten Ermittlungen auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) geäußert: Nach den vorliegenden Erkenntnissen gebe es „keinen Anlass, an der Integrität der beteiligten Senatoren und Staatssekretäre zu zweifeln“.

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