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Berlin: Acht Stunden in der Schule ohne warmes Essen

Ganztagsschulen: Immer mehr Eltern wollen nicht für Verpflegung zahlen. Rektor droht mit Jugendamt

Viele Eltern nehmen in Kauf, dass ihre Kinder bis 16 Uhr ohne warmes Essen in Ganztagsschulen sitzen. Obwohl die Schulleiter Druck auf diese Eltern ausüben und mit dem Jugendamt drohen, bleiben mehr als 40 Prozent der Kinder dem Essen fern. Betroffen sind vor allem die 46 Ganztags-Grundschulen mit ihren rund 20 000 Schülern in den sozialen Brennpunkten. Hier ist die Nachmittagsbetreuung kostenlos, die Eltern müssen aber pro Mahlzeit etwa zwei Euro zahlen, monatlich rund 40 Euro. Das erscheint vielen unerschwinglich. An der Schöneberger Teltow-Grundschule gibt es Klassen, in denen nur die Hälfte der Kinder ein warmes Essen bekommt. Schulleiterin Mechthild Noblé hat beobachtet, dass viele Eltern nicht in der Lage sind, ihr Geld einzuteilen und die richtigen Prioritäten zu setzen.

Die Unfähigkeit, mit dem wenigen Geld umzugehen, beobachtet auch Michael Jäger von der „Vernetzungsstelle Schulverpflegung“, die sich für ein besseres Schulessen einsetzt. Er bezeichnet das Phänomen als „Verhaltensarmut“, die mit Bildungsarmut einhergehe, und schlägt vor, dass die Eltern je nach Einkommen einen Essenszuschuss erhalten. Das Argument, dass Eltern die zwei Euro sehr wohl erübrigen könnten, da es ja noch teurer sei, selbst zu Hause zu kochen, lässt er nicht gelten. Laut Jäger stehen Arbeitslosengeld-II-Empfängern pro Tag und Kind 2,85 Euro für die gesamte Essensverpflegung zur Verfügung. Für diese Menschen seien dann zwei Euro für eine Mahlzeit zu viel – vor allem, wenn sie mehrere Kinder hätten. Die Schöneberger Schulleiterin Ellen Hansen hält es deshalb für richtig, dass ALG-II-Empfänger von der Zahlung befreit werden. Das würde auch ihr Kollege Erhard Laube unterstützen. Er bezeichnet es als „völlig unsinnig“, dass die Eltern in den Horten der Halbtagsgrundschulen einen staatlichen Essenszuschuss von rund 50 Prozent erhalten, während die Eltern in den verpflichtenden Ganztagsschulen ihr Essen voll bezahlen müssen.

Den Kindern zuliebe müsse man Eltern zwingen, Geld für das Essen auszugeben, sagt FDP-Bildungspolitikerin Mieke Senftleben. Ebenso wie Neuköllns Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) hält sie nichts davon, ALG-II-Empfängern einen Zuschuss zu gewähren: Es gehe nicht an, dass Geringverdiener wie etwa Verkäuferinnen für alles selbst aufkommen müssten, obwohl sie nicht mehr Geld hätten als ein ALG-II-Empfänger, sagt Schimmang. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) will bis Ende des Schuljahres ermitteln, wie „viele Kinder nicht am Mittagessen teilnehmen und warum“. Erst dann könne man den „Handlungsbedarf“ erkennen. Mario Dobe von der Kreuzberger Hunsrück-Grundschule hat jetzt allen betroffenen Eltern mit dem Jugendamt gedroht, wenn sie ihr Kind weder zum Mittagessen schicken, noch gesunde Verpflegung mitgeben. Ein Kollege, der nicht genannt werden möchte, verweigert die Aufnahme an der Schule, wenn Eltern nicht unterschreiben, dass sie ihre Kinder zum Essen schicken.

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