zum Hauptinhalt

Adel berichtet (13): Schüler in Teilzeit

Stefan Stuckmann erzählt, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

Eigentlich wollte ich mich diese Woche noch mal mit Michael Preetz treffen, um ein Probe-Interview zu führen für meine neue Kolumne "Auf einen Bubble Tea mit ...", bei der ich Prominente in zwangloser Atmosphäre zu großen Themen der Zeit befrage. Dann sagt Michael ab, weil er kurzfristig einen Beraterjob beim "Dungeon" angenommen hat, dem renommierten Gruselverlies, das nächstes Jahr auch in Berlin die Kerkertore öffnet. Ein ganzer Raum wird im "Dungeon" seiner Hertha gewidmet, verrät Michael stolz, außerdem tauscht er vier Abwehrspieler gegen zwei kopflose King-Charles-I.-Darsteller aus dem Londoner Verlies.

Trotzdem bin ich enttäuscht, als ich meinem Jungdackel Taxi den Telefonhörer gebe, damit er für mich auflegt. Dann steht auch noch Fatih vor mir, mein 13-jähriger Recherche-Assistent, dem wegen Lehrermangel schon wieder der halbe Schultag weggebrochen ist. Dass mit dem letzten Deutschlehrer etwas nicht in Ordnung war, ist der Schulleitung erst aufgefallen, als acht verschiedene Klassen plötzlich nicht mehr "Effi Briest", sondern den "Straßenfeger" gelesen haben. Bitter auch, dass es anscheinend kein Ausschlusskriterium mehr ist, wenn jemand zum Bewerbungsgespräch mit einem Einkaufswagen erscheint.

Ich gebe Taxi 50 Cent, damit er Fatih mit einem Espresso ablenkt, und spreche dem Chef schnell eine Meinung zum maroden Berliner Schulsystem auf die Mailbox. Ich persönlich freue mich zwar über jeden neuen Dialekt, den ich in der Schlange bei Starbucks aufschnappe - aber ein bisschen Lokalkolorit geht ja doch verloren, wenn bald komplette Berliner Jahrgänge aufgrund von Bildungsmangel nach Brandenburg auswandern müssen, weil man als laufender Wurstverkäufer nun mal die Miete nicht zahlen kann.

Als ich das Klirren einer Espressotasse höre, drehe ich mich um. Fatih hat alles gehört. "Brandenburg?", fragt er. Er ist kreidebleich. Gerade rechtzeitig habe ich einen Geistesblitz. 30 Minuten später stehen wir in Zehlendorf, auf der Bu shido-Hochzeit. Als das Brautpaar samt Dudelsackspieler an uns vorbeiläuft, beuge ich mich zu Fatih. "Das hier, das ist deine Chance", schreie ich. "Gangsterrapper!" Fatih schaut nachdenklich. "Oder was mit Youtube", sagt er. Ich nicke.

Dann spüre ich auch schon Taxis Milchzähne an meinem Knöchel, er wittert eine Titelstory: die drei Geldautomaten, die in den letzten Wochen in Berlin geklaut wurden? Stehen die nicht alle da auf dem Geschenketisch?

Hochachtungsvoll,

Ihr

Cedric

Stefan Stuckmann

Zur Startseite