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Adel berichtet (16): Feiges Raupenschwein

Stefan Stuckmann zeichnet auf, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

„Jetzt ist Schluss. Bis hierhin und nicht weiter. Das Boot ist voll. Ich bin ja selbst immer offen für Neues, esse bei Vapiano und klatsche für Mesut Özil. Aber wenn unsere Freiheit bedroht ist, wenn unsere Kinder nicht mehr sicher sind: Dann ist eine Grenze überschritten.“

Das war der Anfang meines Leitartikels über den Eichenprozessionsspinner, der sich von Süden kommend über Berlin ausbreitet. Und mein Chef? Lehnt den Text ab. Eigentlich hat er gesagt, dass er sich nur schnell einen Kaffee holen geht, aber dann sehe ich durchs Fenster, wie er in sein Cabrio steigt. Während ich enttäuscht zurück zu meinem Schreibtisch trotte, springt mein Jungdackel Taxi mir mit zwei neuen Agenturmeldungen entgegen: Die Kita Pusteblume evakuiert den Purzelbaum-Parcours, im Kinderhort Pumuckl steht gar die Sprengung des Sandkastens zur Disposition. Wo eben noch Kevin und Jacqueline für den übernächsten Großflughafen übten, wehen jetzt giftige Raupenhaare über verlassene Plastikförmchen. Und die Politik? Schweigt, trödelt, vertuscht! Der angebliche Mordanschlag auf den Hells-Angels-Chef? In Wirklichkeit blanke Notwehr eines Rockerkumpels, der seinem Boss gerade noch den Eichenprozessionsspinner von der Brusttasche schießen konnte. Und Ray, der Berliner Kaspar Hauser? Kennt noch genau die Adresse von seinem Baumhaus. Aber er weiß, wer da auf ihn wartet: Raupen!

Ich überlege gerade, wie ich Thilo Sarrazin auf das Thema aufmerksam machen kann, als Taxi an meinem Hosenbein zerrt. Richtig: Heute ist ja die erste Stunde in der Hundeschule! Eine Stunde später stehen wir auf dem Rasen der Hundeakademie und üben den Umgang mit Golftaschen. „Fünfer Eisen!“, rufe ich, als ich husten muss. Dann erwischt es auch Taxi. Ich drehe mich zu den Baumreihen um und spüre es sofort: Er ist hier. Schnell nehme ich Taxi auf den Arm. Ich will weglaufen, aber es ist sinnlos. Der Eichenprozessionsspinner, er hat uns umzingelt. „Komm raus!“, rufe ich. „Feiges Raupenschwein!“ Es hilft nichts. Keuchend sinke ich auf die Knie, drücke Taxi an mein Herz. So sollen sie uns finden, die Fotografen fürs Titelfoto. Ich schließe gerade die Augen, als Taxi nach meinem iPhone schnappt.

Als uns die Feuerwehr eine Stunde später beim nächsten Starbucks absetzt, tragen Taxi und ich immer noch die silberne Rettungsdecke. Und die Vertuschung geht weiter: Angeblich habe ich Heuschnupfen. Ich! In der Ferne, so klingt es, lacht eine Raupe.

Hochachtungsvoll,

Ihr

Cedric

Stefan Stuckmann

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