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Adel berichtet (3): Zack, zack

Stefan Stuckmann erzählt, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

Ich weiß gar nicht, warum sich mein Chef nicht gefreut hat, als ich heute auf der Konferenz die 200 schwarzen T-Shirts mit dem goldenen Aufdruck „Platz da!“ verteilen wollte. Die hatte ich noch übrig von unserer Jahresversammlung im Verein „Pro Gentrifizierung“, und wie der Zufall es so will, heißt doch genau so unsere neue Leseraktion! Wenn Sie an einem Platz wohnen, dessen Wirtschaftsstruktur so sehr auf den Bereichen Döner und Taschendiebstahl fußt, dass er den Wert ihrer Eigentumswohnung um mehr als fünf Prozent drückt, können Sie uns Vorschläge schicken, wie man die Misere beenden könnte.

Am meisten Feedback bekommen wir zum Moritzplatz – in, wen wundert’s, Kreuzberg. Keine Frage, dass ich mich sofort bereit erkläre, mir die Sache mal genauer anzuschauen, als mein Chef mit dem Finger auf mich zeigt und sagt: „Cedric, zack, zack!“ So ein Mentoren-Verhältnis ist ja immer sehr komplex, aber ich schätze, er ist deswegen so hart zu mir, weil er will, dass ich es später einmal besser habe als er.

Als ich aus dem Taxi steige, wird mir schwindelig. Das letzte Mal so tief in Kreuzberg war ich am 1. Mai 2007, auf einem Junggesellenabschied. Das einzige, was wir von der Stretch-Limousine retten konnten, waren das Lenkrad und zwei Champagnerkübel.

Mutig laufe ich auf die Mittelinsel im Kreisverkehr, sofort trifft es mich wie der Schlag: Der Moritzplatz ist umgeben von einem Fachhandel für Babybedarf, einem Gärtnerverein und einem Bastelgeschäft! Nun hat in Deutschland ja jeder ein Recht auf seine sozialutopischen Spinnereien. Aber dann braucht sich niemand wundern, wenn nachher nicht genug Steuergelder da sind, um dringend benötigte Einkaufszentren in eine der zahlreichen Baulücken zu locken oder hier und da mal einen Springbrunnen aufzustellen. Beim Absacker in der Gaststätte „Zum kleinen Mohr“ frage ich den Besitzer, ob er sich vorstellen könnte, mit 65 Jahren noch seinen Barista zu machen und einen Starbucks zu eröffnen. Mein Bierglas muss ich danach selbst abräumen. Anschließend erkundige ich mich im Neubau des Aufbau-Verlags, wo ich für die barocken Fassadenteile spenden kann, die ganz offensichtlich noch angebracht werden müssen. Die Dame am Empfang tut so, als wüsste sie von nichts. Um Atem ringend springe ich in das nächste Taxi zum Potsdamer Platz. Als ich am Horizont das Ritz Carlton erkenne, schöpfe ich langsam wieder Hoffnung.

Hochachtungsvoll,

Ihr

Cedric

Stefan Stuckmann

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