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Berlin: Adolf Ernst Wegiewicz, geb. 1915

Ernst Wegiewicz trug keine Titel. Er hatte keine Ämter oder Auszeichnungen vorzuweisen.

Ernst Wegiewicz trug keine Titel. Er hatte keine Ämter oder Auszeichnungen vorzuweisen. Er war kein Macher, sondern einer, der dafür gesorgt hat, dass andere etwas tun konnten. Was wäre wohl aus dem Berliner Bischof Kardinal Bengsch zu DDR-Zeiten geworden, wenn er diesen Helfer nicht gehabt hätte? Als der Kardinal eines Tages in der Nähe seiner Wohnung in Weißensee von der Stasi verhaftet wurde, war es Ernst Wegiewicz, der Hausmeister und Diener des Bischofs, der diesen Vorgang in West-Berlin meldete. Er war es auch, der mit dem Anbau von Gemüse und Obst für einen abwechslungsreichen Speiseplan sorgte. Von den selbstgeräucherten Aalen erzählen die ehemaligen Gäste der Bischöfe noch heute.

Ernst Wegiewicz war nicht nur die gute Seele im Haus der Bischöfe Bengsch, Meisner und Sterzinsky. Ernst Wegiewicz war einer, der bewusst dort im Einsatz war, wo es nötig war. Dass man im Leben manchmal Hilfe braucht, wusste er wie kein anderer. Alleingelassen und hilflos begann er sein Leben als Findelkind. 1915 wurde er in eine Welt hineingeboren, in der es lebensnotwendig war, eine Familie, ein Zuhause zu haben. Doch Ernst Wegiewiczs Mutter, eine unverheiratete Putzmacherin, wollte ihr Kind nicht behalten. Die Karmeliterinnen, deren Ordensgründerin Maria Teresa Tauscher schon Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Kinderheime in Berlin gründete, kümmerten sich um den Neugeborenen.

Die ersten Jahre verbrachte Adolf Ernst Wegiewicz, der von Anfang an nur Ernst genannt wurde, im Josefsheim in Charlottenburg. Als Kleinkind zog er um ins reine Jungenheim nach Berlin-Weißensee in die Gürtelstraße. "Mit fünf Jahren", sagt Rosa Schuster, die ihn dort 1969 kennenlernte, "gab es den ersten Versuch, den Jungen an eine Adoptionsfamilie nach Niederschlesien zu vermitteln". Er scheiterte, wie die vielen, die folgten. "Bei den Bauern, zu denen man Ernst schickte, gab es zwar mehr zu essen, als in der Stadt, aber die Arbeit war hart, Prügel gehörte genauso zum Leben wie die Übernachtung im Stroh."

Ernst Wegiewicz wollte dieses Leben nicht. Er zog die strenge Erziehung mit knappen Essensrationen im Kreis der Karmeliterinnen vor. So oft man ihn zu einer neuen Familie brachte, so oft riss Ernst aus, schlug sich bis Berlin durch. Irgendwann gaben die Ordensschwestern auf. Ernst gehörte fortan zum Haushalt. Er lernte das Tischlerhandwerk und machte sich in Haus und Garten nützlich. Vor allem aber perfektionierte er seine besondere Gabe. "Ernst konnte sich unglaublich dumm stellen. Und erfuhr auf diesem Weg viele Dinge, die er für sich oder auch zum Wohle anderer nutzen konnte", sagt Rosa Schuster.

Sturm und Drang in Italien

Dem hageren, fast kahlen Mann, saß der Schalk im Nacken. Und weil man ihm alles zutraute und manche sein einfaches Wesen mit Einfältigkeit verwechselten, genoss Ernst Wegiewicz so etwas wie Narrenfreiheit. Ein Narr war er deshalb nicht. "Rechnen beispielsweise konnte der Ernst ausgezeichnet. Den konnte man nicht übers Ohr hauen", sagt Rosa Schuster. In den 30er Jahren zog man Ernst zum Arbeitsdienst ein. Mit Mitte Zwanzig wurde er Soldat. Die genauen Stationen seines Lebens in dieser verworrenen Zeit lassen sich nicht mehr genau rekonstruieren. Fest steht, dass er auch eine ganze Weile in Italien verbrachte. Dort, so erzählte Ernst gerne als Antwort auf die Frage, warum er eigentlich keine eigene Familie gegründet habe, dort in Italien gäbe es heute etliche Menschen, die ihm ähnlich sähen.

Im Krieg erlitt Wegiewicz eine schwere Schussverletzung und war drei Tage lang verschüttet. Er überlebte, von nun an kahl und fast taub. In Flensburg geriet er schließlich in englische Gefangenschaft. Nach dem Krieg spüren ihn die Berliner Karmeliterinnen über den Suchdienst auf.

Die Schwesternschaft war zwar sein Zuhause, aber Ernst suchte auch Distanz. Als der verlorene Sohn wiedergefunden war, kehrte er umgehend mit dem Bild der Ordensgründerin Maria Teresa Tauscher und dem Rosenkranz in der Tasche zurück in die Gürtelstraße. Dort bekommt er 1946 eine Stelle als Hausmeister.

Nackt im Garten des Bischofs

Als Bischof Alfred Bengsch 1959 in die Gürtelstraße zieht, vollzieht sich auch für Ernst Wegiewicz ein Wandel. Mit dem Bischof zieht auch der Caritasverband für das Ostberliner Bistum ins Haus. Als der Bischofssitz 1972 in die Französische Straße verlegt wird, vertraut Kardinal Bengsch, dem treuen, nun schon 54 Jahre alten Hausmeister, die Sorge für die Bischofsdatscha am Teupitzsee an. Von nun an lebt Wegiewicz ein von den meisten Zwängen befreites Leben auf dem Bischofssitz am See. Auf Äußerlichkeiten legte er keinen Wert, auf Kleidung schon gar nicht. Am liebsten trug er gar keine. Und so konnte manch einer, der vom Wasser her Einblick auf das Grundstück am Teupitzsee hatte, den braungebrannten Ernst splitternackt beim Rasenmähen, Unkrautjähten oder beim Angeln beobachten.

Kam der Bischof nach Teupitz, wurde er stets von Schwester Gilberta begleitet, die dann für die Gäste kochte und den Haushalt führte. Die herzliche Schwester wird über die Jahre hinweg zum Mutterersatz für Ernst. "Mama" nannte er sie. Als sie 1994 zum Ruhestand ins Mutterhaus der Vöcklabrucker Schwestern nach Österreich ging, war das für Ernst Wegiewicz ein Schock. Seine Freunde, unter ihnen auch Rosa Schuster, versuchten Ernst aufzumuntern. Schon lange waren Rosa und Ernst befreundet. Sie besuchten sich regelmäßig, vor allem nachdem Ernst 65 Jahre alt geworden war, und in den Westen reisen durfte. Ernst nutzte die Fahrten nicht nur zum Einkaufen in Berlin. Kardinal Meisner, der damalige Bischof vertraute ihm Unterlagen an, wichtige oder eilige, die er über die Grenze brachte. Das war eine gefährliche Mission, die ihn direkt ins Gefängnis gebracht hätte, wäre er erwischt worden. "Ernst wurde nicht ein einziges Mal kontrolliert", sagt Rosa Schuster. "Darauf war er sehr stolz." Auch die Grenzer unterschätzten Wegiewicz.

Wenn er Reisen machte, besonders nach der Wende zu den Familientreffen "seines" Bischofs Joachim Meisner nach Köln, schrieb er mindestens 50 Postkarten. Mit der Glückwunschkarte zum Geburtstag konnten seine Freunde sicher rechnen. Seine Briefe gelten als legendär. Die meisten von ihnen endeten mit der keineswegs selbstironisch gemeinten Formel: "Es grüßt Dich Dein unvergesslicher Ernst." Ernst Wegiewicz wurde 85 Jahre alt. Sein Requiem wurde von seinem 3. Bischof Kardinal Sterzinsky gehalten, Kardinal Meisner schickte ein Grußwort nach Berlin.

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