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Buergeramt

© Kai-Uwe Heinrich

Ämter: Warten ist die erste Bürgerpflicht

Wer zum Bürgeramt muss, braucht Geduld und fühlt sich schikaniert - und es wird immer schlimmer. Muss das sein?

Wer Glück hat, bekommt eine Marke und darf sechs Stunden auf den Pass oder das beglaubigte Abiturzeugnis warten. Wer Pech hat, kommt auch mit viel Geduld nicht zum Zuge bei Bürgerämtern: Oft gibt es Wartemarken nur vormittags. Seit Januar sind viele Bezirke heillos überfordert. Und in der Ferienzeit hat sich die Lage noch verschärft. Die Schuld daran gibt die Opposition dem Senat, der Senat den Bezirken - und die der Personalnot. Der Bürger aber bleibt auf der Strecke.

Das Versprechen des Senats, Berlin werde zur "Service-Stadt" entwickelt, klingt für die Wartenden in den Bürgerämtern wie der blanke Hohn. Stundenlanges Ausharren in überfüllten Räumen - das gibt es nicht nur in einzelnen Bezirken. Am Dienstag gab es in Bürgerämtern in Reinickendorf und Mitte schon am Vormittag keine Wartemarken mehr. In Tempelhof-Schöneberg setzt die Fraktion "Graue Panther" wegen desselben Problems den Bezirksbürgermeister unter Druck. In Spandau und Charlottenburg-Wilmersdorf verzweifeln die Bürger bereits seit Monaten an der "Arbeitsverweigerung" ihrer Verwaltungen.

Das Bürgeramt Tegel in der Berliner Straße liegt in einem schmucklosen grauen Altbau mit grauen Wänden, steilen Treppen und abgegriffenen Handläufen. Wartenummern gibt es schon lange nicht mehr. Der Raum ist voll. Niemand redet. Die meisten richten ihre Augen zu Boden. Im Flur warten Eltern mit Kleinkindern. Katja Rosemann ist mit Tochter Mila, 16 Monate, zum vierten Mal hier. Um ihren Ausweis zu verlängern. Einmal hatte sie nach dem Ziehen der Wartenummer zwei Stunden eingekauft. Nach ihrer Rückkehr hätte sie eine weitere Stunde warten müssen. Das hat Mila nicht mitgemacht. Heute will sie durchhalten: "Ich bin ja erst zwei Stunden hier", sagt sie.

Neben ihr steht Peter Wessel mit Frau und sechsmonatiger Tochter. Er ist froh, überhaupt eine Wartemarke bekommen zu haben. In der Frühe war er am Tegeler Bürgeramt, eine Viertelstunde vor Öffnung. "Aber da standen schon mindestens 50 Leute vor verschlossenen Türen", sagt er. Nun wartet er in der Berliner Straße und hat einen Geheimtipp: Im Fontane-Haus im Märkischen Viertel soll die Termin-Vereinbarung möglich sein.

Ein Amtsleiter gibt es in der Berliner Straße nicht. Die Mitarbeiterinnen geben sich zugeknöpft. Dann sagt eine, die nicht genannt werden will: "Seit Anfang des Jahres ist nur noch Chaos hier". Seit Anfang des Jahres müssen die Bürgerämter auch den "Berlin-Pass" für Hartz-IV-Empfänger ausstellen. Deshalb stiegen die Besucherzahlen drastisch. Vier Stunden Wartezeit seien keine Seltenheit. Vor der vielen Arbeit und dem, "was man sich so anhören muss" von frustrierten Bürgern, flüchten auch viele erschöpft in die Krankheit. Entlastung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: "Jetzt stehen neue Einsparungen ins Haus", sagt sie. Von einem "kompletten Versagen des Senats" spricht Björn Jotzo, FDP-Abgeordneter. Die langen Wartezeiten seien "wirtschaftsschädlich und bürgerfeindlich". Das Land habe falsche Prioritäten gesetzt: "Bei den Steuerforderungen gibt es auch keine Wartezeiten", sagt Jotzo. Wenn aber der Bürger etwas vom Staat brauche, müsse er warten.

Thomas Birk, Abgeordneter von Bündnis90/Grüne, müsste eigentlich seinen Ausweis verlängern. "Das schiebe ich seit einem Jahr auf", sagt er. Überlastete Bürgerämter, überforderte Mitarbeiter - diese Probleme seien seit langem bekannt. Birk weiß, wie man sie ganz leicht lösen könnte: "Indem der Berlin-Pass gleich mit der Berechtigung zum Bezug von Transferleistungen herausgeschickt wird", sagt er. Dazu sei nur die Bereitstellung einer Software nötig - und schon wären die Bürger und ihre Ämter entlastet.

Für Andreas Statzkowski von der CDU-Fraktion ist der "Stellenpool" ein weiteres Problem: Daraus müssen sich die Bezirke bedienen, um Stellen in Bürgerämtern zu besetzen. Doch die Bereitstellung des Personals dauert zu lange. "Deshalb muss der Senat das Verbot aufheben, Leute vom regulären Arbeitsmarkt einzustellen", sagt Statzkowski.

Bei der Senatskanzlei fühlt man sich nicht zuständig - und verweist auf die Innenverwaltung. Dort heißt es: "Jeder Bürger kann zu jedem Bürgeramt gehen, also auch zu den weniger besuchten", so Sprecherin Isabelle Kalbitzer. Außerdem könne man in manchen Bezirken einen Termin telefonisch oder im Internet vereinbaren. Im Übrigen sei es Sache der Bezirke, die Berliner nicht leiden zu lassen.

Für Peter-Rudolf Zotl (Linke) ist die Lage gar nicht so schlimm: "In sieben Bezirken klappt es mehr oder weniger. Deshalb gibt es keinen Grund, dass andere es nicht auch schaffen." Und wie? Mit dem "mobilen Bürgeramt", das auch in Clubs oder Stadtteilzentren vorfährt. Vorbildlich sei Lichtenberg. Und überhaupt: "Die besten Bürgerämter liegen im Osten", zitiert der Verwaltungsexperte eine Studie.

Im Bürgeramt Wedding sind zwei Stunden Wartezeit Normalität. Das räumt auch Fachbereichsleiter Ronald Schäfer ein. Dass schon nach wenigen Stunden keine Wartenummern mehr herausgegeben werden, nennt er dagegen eine "temporäre Erscheinung". Schäfer begründet das mit der Urlaubszeit. Dass die Schlangen so lang sind, liege aber auch am "Bürgeramtstourismus". Berliner aus Nachbarbezirken, die an ihrem Wohnsitz stundenlang warten müssen, kommen nach Wedding. Und so manche Bürgerämter in umliegenden Bezirken unterstützten die Wanderwilligen: indem sie nur kurze Zeit Wartenummern ausgeben würden.

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