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Berlin: Ärzte fürchten ihre Funktionäre

Impfstreit mit den Kassen: Mediziner machen Rückzieher/Patienten stark verunsichert

In der Berliner Ärzteschaft brodelt es. Der Streit um die Impfhonorare belastet nicht mehr nur das Verhältnis zwischen Ersatzkrankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung (KV), sondern entzweit auch die Mediziner. Vor allem die Strafandrohung des Ärztefunktionärs Wolfgang Kreischer – er ist stellvertretender Vorsitzender des Berliner Berufsverbandes der Allgemeinärzte – versetzte viele seiner Kollegen in Angst. Kreischers Aktion richtet sich gegen diejenigen Mediziner, die Einzelimpfverträge mit den Ersatzkrankenkassen unterschrieben haben und damit aus der Front der Kassenärztlichen Vertretung gegen die aus ihrer Sicht zu niedrigen Impfhonorare ausbrachen.

Der Funktionär drohte mit jeweils 5000 Euro Strafe, falls die 250 betroffenen Ärzte nicht umgehend aus den Einzelverträgen ausstiegen. Etwa zwanzig Mediziner ließen sich einschüchtern und kündigten. Eine von ihnen ist Christiane Müller (Name geändert), Allgemeinärztin in Mitte. Sie trat gegen ihre Überzeugung von der Vereinbarung zurück, denn „der neue Vertrag bietet doch mehr Honorar als die alte Vereinbarung.“ Statt wie bisher 4,65 Euro offerierten die Ersatzkassen sechs Euro für den Grippeschutz. Doch die KV will mindestens 6,50 Euro, soviel, wie die Versicherungen in Brandenburg zahlen. „Die 50 Cents Unterschied sind doch lächerlich.“ Christiane Müller impft jedes Jahr insgesamt 170 Patienten gegen Grippe, davon rund 60 mit einer Chipkarte der Ersatzkassen. Für sie dreht sich der Streit also um ganze 30 Euro. Insgesamt geht es für alle Berliner Ersatzkassenversicherten um rund 140 000 Euro pro Jahr, ein überschaubarer Betrag.

Doch viele Patienten mit Ersatzkassen-Chipkarte sind durch den Konflikt stark verunsichert. Die Ärzte fordern von ihnen, dass sie das Honorar privat zahlen, sich auch selbst das Serum aus der Apotheke besorgen. Gerade für ältere Patienten ist das so ungewohnt , dass sie nicht abschätzen können, wieviel der Medizinier überhaupt berechnen kann. Doch wenn sie deshalb auf die Schutzimpfung verzichten, drohen ihnen unter Umständen ernste gesundheitliche Schäden oder gar der Tod durch die gefährlichen Grippeviren. Gleiches gilt für Kinder, deren Eltern wegen des Streit auf die Kinderschutzmpfungen verzichten.

Christiane Müller wollte ihre Patienten nicht als Druckmittel missbrauchen lassen und unterschrieb den Einzelvertrag. Am vergangenen Donnerstag zog sie ihre Unterschrift zurück. „Ich habe Angst. Die ganze Sache wurde mir zu heiß.“ Doch ihr Verhältnis zu den Ärztevertretungen ist zerrüttet. „Bei den nächsten Gremienwahlen bekommen die von mir nur den zerrissenen Wahlschein zurück.“ Wolfgang Kreischer verteidigt seine Strafaktion: „Die Ersatzkassen gehen nach der Salamitaktik vor, um die Ärztefront aufzubrechen“, sagt er. „Erst bieten sie bei den Impfungen Einzelverträge, dann bei den Chronikerprogrammen, und schließlich muss jeder Arzt einzeln mit den mächtigen Kassen verhandeln.“ Das Ende wäre ein ruinöser Wettbewerb unter den Medizinern. Er habe für seine Aktion viel Zuspruch erhalten.

Im Berliner Ersatzkassenverband (VdAK) dagegen hätten viele Mediziner angerufen, die „jetzt erst recht“ bei den Einzelverträgen blieben, sagt VdAK-Chef Karl-Heinz Resch. Der Verband versucht nach Kräften, den Dissens zu verstärken. Resch kündigt ein neues Angebot an – nur für Kinderärzte. In einem Stufenplan soll das Impfhonorar für die sechsfache Kinderschutzimpfung auf 14 Euro erhöht werden. Derzeit bietet die VdAK zwölf Euro. Eine Nachbesserung des Grippeschutzhonorars werde es aber nicht geben.

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