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Berlin: "Ärzte ohne Grenzen": "An diesen Job musst du glauben"

"Wenn sie deinen Namen kennen, hast du verloren." David Treviño winkt mit der rechten Hand so wie die Mädchen und Jungen in Indien.

"Wenn sie deinen Namen kennen, hast du verloren." David Treviño winkt mit der rechten Hand so wie die Mädchen und Jungen in Indien. "Hallo, hallo, David, David!" Kinder sind eben fast überall auf der Welt unbekümmert und kontaktfreudig - selbst wenn sie ein schlimmes Erdbeben miterlebt haben. David Treviño vom Hilfsverein "Ärzte ohne Grenzen" ist gerade von einem Einsatz aus dem Katastrophengebiet zurückgekommen. Der 30-jährige, in Charlottenburg lebende Spanier kann das bezeugen, was für alle Krisenregionen der Erde gilt: Auch wenn die Meldungen nicht mehr jeden Tag die Nachrichten prägen, bedeutet das noch lange nicht, dass sich an der Lage Entscheidendes geändert hätte.

Schon der Hinflug mit der russischen Transportmaschine war eine Tortur. David Treviño kamen die 18 Stunden vor wie "Jahrhunderte". Das internationale Team von "Medecins sans frontières" landete mitsamt 40 Tonnen Hilfsgütern und Transport-Auto im Gepäck in Ahmedabad, von dort aus ging es weiter in die Epizentrum-Region von Bhuj. Der erste Eindruck? "Totales Chaos. Ich habe ja schon einige Erdbeben erlebt, aber da ist das größte intakte Bauteil gerade mal so groß wie ein Fußball." Der Rest: in Schutt und Asche. Die "Ärzte ohne Grenzen"-Crew unter anderem mit Helfern aus Holland, Spanien, Kanada und Deutschland errichtete ihre Zelte auf dem Hof einer ehemaligen Schule. "So konnten wir die Notherbergen für die Inder gleich selbst testen", sagt Treviño mit einem Grinsen.

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Zum Lachen ist dem so genannten "programm advisor", also dem Koordinator für Auslandeinsätze, bei seiner Tätigkeit aber keineswegs. "Du kommst an und arbeitest, arbeitest, arbeitest." Am ersten Tag des dreiwöchigen Indien-Aufenthalts haben die grenzenlosen Helfer "keinen Bissen gegessen, keinen Schluck getrunken". Damit die Ärzte aus dem "Medecins sans frontiéres"-Team tätig werden können, sind sie auf die Hilfe von Organisatoren wie David angewiesen. Welche Straßen sind befahrbar? Wo sollen die Zeltlager aufgebaut werden? Wie findet man einen Dolmetscher? All das managt David auf Englisch, denn zum Deutsch-lernen ist er vor lauter Arbeit in dem Jahr in Berlin noch kaum gekommen.

Wenn der braungebrannte, in Barcelona geborene Mann von seinem Job erzählt, gestikultiert er so flink, wie er sonst in Krisenregionen Strippen zieht. Doch als Katastrophenhelfer braucht man auch Einfühlungsvermögen. "Es gehört in Indien dazu, dass man zunächst die Einladung des Dorfobersten zum Tee annehmen muss, bevor es an die Arbeit geht." Die meisten Erdbebenopfer beziehen verzweifelt vor den Trümmern ihrer Häuser Stellung, bevor sie Kleidungsstücke bergen - "oder Eisen aus dem Fußbodenbeton schlagen, die sie vielleicht noch verkaufen können". Letztlich sammeln sich die Menschen aber dort, wo es beispielsweise noch intakte Brunnen gibt. "Aber auch da können wir am effektivsten helfen, wenn wir gesellschaftliche Regeln wie etwa die Kasten akzeptieren und für unsere Arbeit nutzen." In den kommenden vier Wochen will "Ärzte ohne Grenzen" 15 000 Menschen mit insgesamt 20 000 Zelten, 80 000 Decken und 25 000 Plastikplanen versorgen. In Bhuj hat sich der spanische Wahl-Berliner bei seinem letzten Besuch vornehmlich um die Wasserversorgung gekümmert. "Ein magischer Moment, wenn du den Hahn aufdrehst - und das Wasser läuft." Dann hält selbst so ein Arbeitstier wie David Treviño kurz inne.

Kein Wunder, dass einer wie er nur mit einem Architekturstudium nicht zufrieden sein konnte. Die Uni brach er schnell ab und entschied sich stattdessen für eine Logistiker-Ausbildung bei "Medecins sans frontiéres". Wo er in den vergangenen Jahren schon geholfen hat? Treviño schaut auf die Weltkarte in dem kleinen Besprechungszimmer der deutschen "Ärzte ohne Grenzen"-Niederlassung Am Köllnischen Park 1 in Mitte. "Tansania, Ruanda, Mosambik, Kenia, Guatemala, Kongo ..." Alle Länder bekommt der 30-Jährige so schnell gar nicht mehr zusammen. Und was verdient man eigentlich bei dem grenzenlosen Einsatz? "Was soll dir jemand bieten, damit du in Sierra Leone dein Leben riskierst?", stellt David die Gegenfrage. Nein, für die 1000 oder 1500 Dollar im Monat macht niemand der 2500 internationalen Helfer in über 80 Ländern - darunter waren vergangenes Jahr auch 25 Berliner und Brandenburger - diese Arbeit. "An diesen Job musst du glauben." Und genießt dafür aber den Vorteil, "dass kein Tag wie der andere ist". Probleme mit dem seelischen Verarbeiten des Elends hat Treviño selten. "Wer schwach wird, der kann nicht mehr vernünftig arbeiten." Dafür hat Treviño nur alle drei Monate eine freie Woche. Und muss ständig damit rechnen, aus dem Bett geklingelt zu werden. David Treviño schnippt mit den Fingern. "Und wenn sie dich rufen, heißt es: Nichts wie los."

Annette Kögel

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