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Berlin: Ärzte sperren ihre Patienten aus

Aus Protest gegen die Regierung schließen Mediziner ab Januar 1000 Praxen. Gesundheitssenatorin: „Offenbar gibt es ein Überangebot“

Längere Wartezeiten in vollen Arztpraxen, verschobene Behandlungen und weniger Rezepte – das droht ab Januar den Berliner Patienten. Um gegen die Sparpläne von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zu protestieren, planen die niedergelassenen Mediziner, nur noch „Dienst nach Vorschrift“ zu leisten und wochenlang 1000 von insgesamt 6200 Praxen in Berlin zu schließen.

Die Medizinerproteste wurden von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vorgeschlagen. Hintergrund: Die Gesundheitsministerin will im nächsten Jahr eine Nullrunde bei den Arzthonoraren. „Wir passen das Leistungsangebot dem verfügbaren Geld an“, sagt KBV-Chef Manfred Richter-Reichhelm. Trotzdem müsse man dafür sorgen, dass die gesetzliche Patientenversorgung – der Sicherstellungsauftrag – erfüllt wird. Die Berliner kassenärztliche Vereinigung (KV), deren Chef Richter-Reichhelm ebenfalls ist, will deshalb einen Dienstplan erarbeiten. Nach dem Rotationsprinzip sollen an jedem Arbeitstag der Woche tausend Arztpraxen geschlossen bleiben. Die Aktion wird nach bisheriger Planung in der zweiten Januarwoche starten und mehrere Wochen dauern. Einkommenseinbußen haben die Ärzte nicht zu befürchten. Denn der Etat für die Honorare bleibt unverändert. Erbringen alle Mediziner weniger Leistungen, steigt deren Preis entsprechend.

Darüber hinaus werde man sich buchstabengenau an die neue Arzneimittelverordnung halten, kündigt Richter-Reichhelm an. Die Mediziner werden immer die billigste Ersatzarznei verschreiben, die zwar dieselben Wirkstoffe wie das teure Originalpräparat enthalten, aber trotzdem in ihrer Zusammensetzung so variieren, dass sie von manchen Patienten schlechter vertragen werden. „Die Menschen werden das als Mangel empfinden“, sagt Richter-Reichhelm. „Wir wollen der Bevölkerung verdeutlichen, dass in der Gesundheitsversorgung ein Systemwechsel zum Schlechteren droht.“

In der Berliner Ärzteschaft ist die Bereitschaft offenbar groß, sich an solchen Protesten zu beteiligen. „Es reicht nicht, wenn Ärzte auf der Straße rumlaufen und protestieren“, sagt Uwe Kraffel, Vorsitzender der Ärzteinitiative Berlin. „Nur wenn der Patient Beeinträchtigungen erfahren muss, dann wird die Misere wahrgenommen.“ Die Ärzteinitiative repräsentiert rund 1000 niedergelassene Mediziner. „Das ist ein Probesitzen in der Hölle, um zu zeigen, was das von der Politik angestrebte Modell für die Kranken bedeutet.“ Ärztekammerpräsident Günther Jonitz sekundiert: „Die Stimmung unter den Doktoren ist kämpferischer geworden.“ Man fahre die medizinische Versorgung auf das von der Ministerin geforderte Maß zurück. Natürlich sei die Unterversorgung durch die Praxisschließungen ein Risiko für die Patienten, zum Beispiel dadurch, dass manche Erkrankungen erst später behandelt werden als notwendig. Aber man könne die Fehler der Politik nicht länger ausbügeln.

Die Krankenkassen kündigen Konsequenzen an. „Wenn ein Mediziner nicht seine vertragsärztlichen Pflichten erfüllt, drohen ihm Disziplinarmaßnahmen bis hin zum Entzug der Zulassung“, heißt es bei der AOK Berlin. Ein Arzt, der beispielsweise eine Behandlung aus Protest ins nächste Quartal verschiebe, schramme an einer Grenze zum Gesetzesbruch entlang.

Kritik kommt auch von Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner. „Die KV muss sich fragen, ob solche Aktionen mit ihrem Sicherstellungsauftrag in Einklang zu bringen sind. Wenn ja, dann gibt es offensichtlich in Berlin ein Überangebot an Arztpraxen.“

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