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Soll der Adler fliegen? Der von Ernst Sagebiel gestaltete Kopf repräsentiert heute wie einst am Flughafengebäude in Tempelhof.

© IMAGO

Ästhetisches NS-Erbe in Berlin: Gute böse Nazi-Kunst

Sie gelten als ästhetisch minderwertiger Bombast. In Berlin sind Nazi-Denkmäler dennoch Teil des Stadtbilds. Es fehlt aber der genaue Blick – auch auf ihre Stärken. Dabei muss hinsehen, wer kritisch urteilen will.

Ein Jahr ist es her, da tauchten in einer Lagerhalle im pfälzischen Bad Dürkheim überraschend sechs Bronzestatuen von Hitlers Lieblingsbildhauern auf, darunter zwei monumentale Rösser von Josef Thorak. Die standen einst prominent vor der Neuen Reichskanzlei in Berlin und nun für eine Riesengeschichte. Denn damit hatte die Bundesrepublik ihr Gegenstück zum Fall Gurlitt. Nicht um die „entartete Kunst“ ging es diesmal oder Stücke, die jüdischen Sammlern von Nationalsozialisten entwendet worden waren. Sondern um Werke der Täter, die im „Dritten Reich“ Anerkennung und Aufstellung gefunden hatten. Plötzlich waren die Rösser da – und mit ihnen die Fragen, wem sie gehören und wie mit ihnen umzugehen sei.

Die Bilder sind unter uns, hatte es anlässlich des „Schwabinger Kunstfunds“ in Cornelius Gurlitts Wohnung Anfang 2012 geheißen, in Anlehnung an Wolfgang Staudtes 1946 gedrehten Film „Die Mörder sind unter uns“. Das Auftauchen der Sammlung des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt versetzte Kunstinteressierte weltweit unmittelbar in die Nachkriegszeit und die Jahre des nationalsozialistischen Regimes. Wie ein Schock wirkte die Konfrontation mit den damaligen Praktiken des Kunsthandels und die Auswirkung für die Museen, in denen sich bis heute unrechtmäßig Bilder befinden. Die jahrzehntelange Verdrängung offenbarte sich auf einen Schlag, die junge Disziplin der Provenienzforschung erhielt Aufwind, der Bund gab weitere Gelder frei.

Nicht nur die Bilder sind unter uns, die Skulpturen sind es auch, das bescherte diese zweite, so anders geartete Entdeckung aus Bad Dürkheim als Erkenntnis. Thoraks muskelstrotzende Pferde, die vor einem Jahr ebenfalls beschlagnahmten Figuren „Der Künder“ und „Berufung“, beide von Adolf Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, sowie die Bronzeakte „Galathea“ und „Olympia“ von Fritz Klimsch befanden sich auf dem Gelände eines Unternehmers und Liebhabers von Nazi-Kunst. Auf abenteuerlichen Wegen waren sie kurz vor dem Mauerfall aus einer sowjetischen Kaserne in Eberswalde nach Westdeutschland geschmuggelt worden. Wegen des Verdachts auf Hehlerei sind die Werke jetzt Gegenstand eines juristischen Streits zwischen dem letzten Besitzer und der Bundesrepublik. Als Rechtsnachfolgerin des NS-Regimes erhebt sie Anspruch und wartet auf Freigabe durch die Staatsanwaltschaft Berlin, um die Rösser dann, so der Plan, der „Topographie des Terrors“ zu überlassen.

Harmlos verteilen sich die Werke in der Stadt

Wie der Schwabinger weist auch der Bad Dürkheimer Fund auf eine Leerstelle hin. Hatten sich in den letzten Jahren fast alle Berufssparten einer Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit gestellt, so untersuchten Kunsthändler, Museumsleute und Künstler ihre Verstrickungen nur zögerlich. Das Auftauchen der Skulpturen brachte in Erinnerung, dass eine Aufarbeitung der staatstreuen Kunst während der NS-Zeit und der Rolle der Künstler vielfach noch aussteht. Gerade in Berlin, wo die NS-Kunstpolitik gemacht wurde, die Reichskulturkammer saß, sollte dies geschehen. Auch, weil sich hier zahlreiche der 1933 bis 1945 entstandenen Werke noch immer im öffentlichen Raum befinden. Sie verschwanden keineswegs abrupt mit dem sich am 8. Mai zum 71. Mal jährenden Kriegsende und dem Alliierten-Beschluss, dass alle NS-Denkmäler zu entfernen seien.

Nicht immer martialisch, aber allgegenwärtig. Auch Bernhard Bleekers "Speerträger" im Park am Lietzensee ist ein NS-Überbleibsel.
Nicht immer martialisch, aber allgegenwärtig. Auch Bernhard Bleekers "Speerträger" im Park am Lietzensee ist ein NS-Überbleibsel.

© Thilo Rückeis

Über siebzig zwischen 1933 und 1945 aufgestellte Skulpturen führt die Datenbank der Bibliotheken für Berlin weiterhin auf. Harmlos verteilen sie sich in der Stadt: die schmucke Wasserträgerin am Haus Ecke Hohenzollerndamm / Eisenzahnstraße, die Hirsche, Stiere, Affen in den Parks und Tiergärten, die putzigen Kinderfiguren an der Köpenicker Landstraße. Die Geschichte ist ihnen kaum anzusehen, schließlich standen sie nicht im Dienst der Politik. Wie beim Speerwerfer am Lietzensee fehlt eine Jahreszahl, die verraten würde, wann die Skulptur entstand.

Helle Wächter aus dunkler Zeit. Kolossalfiguren zieren noch heute einen Eingang am Fehrbelliner Platz.
Helle Wächter aus dunkler Zeit. Kolossalfiguren zieren noch heute einen Eingang am Fehrbelliner Platz.

© Thilo Rückeis

Geblieben ist allerdings auch der martialische Typus, meist als Fassadenschmuck wie die beiden Kerle am ehemaligen Verwaltungsgebäude der Deutschen Reichsbahn in der Invalidenstraße. Oder das Paar an der Front der Deutschen Rentenversicherung nahe dem Fehrbelliner Platz: Er hält eine Miniatureiche in der Hand, sie einen Kelch mit züngelnder Flamme. Vermutlich scheute man in der Nachkriegszeit die hässliche Leerstelle an der Eingangswand, ließ sich der Berliner Magistrat überzeugen, dass das Paar ungefährlich sei. Auf ähnliche Weise kam es, verbürgt, zu kuriosen Überbleibseln wie am Finanzamt in der Bismarckstraße, wo der Reichsadler über dem Eingang noch prangt. Bis 1945 umfassten seine Klauen ein Hakenkreuz, nun befindet sich passgenau in der Aussparung die Hausnummer 48.

Berlin reibt sich an diesem Erbe, mehr als andere Orte. Die Stadt, in der die Verfolgung der Juden geplant, der Überfall auf die europäischen Nachbarn vorbereitet wurde, widmet ihre heutige Kunst im öffentlichen Raum vor allem dem Gedenken der Opfer, ein programmatischer Ansatz der Senatsverwaltung für Kultur. Der Fall Thorak mit den aufgetauchten Pferden hat in diesem größeren Kontext nun eine Diskussion entfacht über Dinge, die zunächst nicht so recht in die Gedenkkultur der Stadt passen wollen. Die simple Frage ist: Wohin mit der Nazi-Kunst? Zeigen, wegsperren, kontextualisieren, erklären? Wer waren die Künstler, gibt es überhaupt eine NS-Ästhetik? Welche Rolle spielten die Bildhauer? Warum erhitzen sich gerade an ihnen die Gemüter, wo doch Maler, Schauspieler, Schriftsteller, Musiker ebenfalls nach 1933 weiterhin tätig waren und viele von den neuen Machthabern profitierten, ja ein weitaus größeres Publikum erreichten?

Die Bildhauer waren direkte Auftragnehmer der öffentlichen Hand

Letzteres liegt in der Natur der Skulptur. Die Bildhauer waren direkte Auftragnehmer der öffentlichen Hand, ihre Werke dienten als Dekoration der Macht, sie illustrierten die politische Programmatik und bildeten, im öffentlichen Raum, das Menschenbild der Nazis ab, ihr rassisches Ideal. Allerdings gibt es auch hier nicht nur Schwarz und Weiß, lässt sich nicht immer klar scheiden, aus welchen stilistischen Einflüssen sich die Formensprache speist, ob die Kunst nur, weltanschaulich, böse oder auch, künstlerisch, gut ist. Häufig verwischt das Täterbild zumindest ein wenig, schaut man einmal genauer hin.

Nur nichts reproduzieren. In Arno Brekers ehemaligem Atelier versucht man, die NS-Ästhetik mit Nachkriegskunst zu brechen.
Nur nichts reproduzieren. In Arno Brekers ehemaligem Atelier versucht man, die NS-Ästhetik mit Nachkriegskunst zu brechen.

© Thilo Rückeis

Wer sich in Berlin auf die Spuren der NS-Bildhauer begibt, wird als Erstes das einstige Atelier Arno Brekers im Südwesten der Stadt aufsuchen. Seit dem vergangenen Sommer steht der Backsteinbau im Käuzchensteig am Rande des Grunewalds wieder in seiner ursprünglichen Form da. An die Zwischennutzung nach dem Zweiten Weltkrieg durch Gäste des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und Stipendiaten des Kultursenats wie Armando, Jimmie Durham und Emmett Williams erinnert eine Texttafel.

Die Einbauten aus den Siebzigern sind entfernt, das fast 300 Quadratmeter große Hauptatelier mit seinen von der Decke bis zum Boden reichenden Fenstern lässt flutendes Licht herein. 1939 wurde das Gebäude als erstes von zwanzig geplanten Staatsateliers für regimetreue Auftragskünstler fertiggestellt – und blieb fast das einzige. Breker benutzte es kaum, er zog sich bald in das brandenburgische Schloss Jäckelsbruch zurück, das Hitler seinem Lieblingsbildhauer 1940 zum Geburtstag geschenkt hatte. Hier hatte er keine geborstenen Glasoberlichter zu befürchten wie in Berlin nach Bombendetonationen.

Als Relikte aus der Ursprungszeit hängen von der Decke des Berliner Breker-Ateliers heute noch Zugketten, mit denen die tonnenschweren Steinblöcke bewegt werden konnten. Brekers Skulpturen, die sich noch auf dem Gelände befanden, wurden 1946 von den Briten zum Collecting Point, zur Kunstsammelstelle, nach Dahlem gebracht, die im Garten liegende Wagner-Büste holten sich die Bayreuther Festspielmacher ab.

Dekorateur der Macht - und Sündenbock der Deutschen?

"Arno Brekers Atelier darf keine Pilgerstätte werden", findet Dorothea Schöne, Leiterin des Kunsthaus Dahlem.
"Arno Brekers Atelier darf keine Pilgerstätte werden", findet Dorothea Schöne, Leiterin des Kunsthaus Dahlem.

© Thilo Rückeis

Die seit dem vergangenen Sommer für zwei Jahre laufende Eröffnungsausstellung „Portrait Berlin“ in der nun als „Kunsthaus Dahlem“ firmierenden Einrichtung widmet sich der Darstellung des Körpers in der Kunst nach 1945. NS-Kunst? Fehlanzeige. Kein Breker, schon gar kein Thorak. Ihm hatte Hitler ein Staatsatelier in München einrichten lassen. Stattdessen wird das Bemühen von Bildhauern vorgeführt, sich nach dem Zusammenbruch eine neue Formensprache anzueignen, an abstrakte Tendenzen der Vorkriegsmoderne anzuknüpfen. Leiterin Dorothea Schöne erklärt diese Entscheidung damit, dass „Brekers Kunst im Originalrahmen aussehen würde wie ein Bühnenbild“.

Die NS-Kunstexpertin Josephine Gabler, die bis 2004 bei der Stiftung für Bildhauerei in Berlin als Geschäftsführerin arbeitete und heute das Museum Moderner Kunst in Passau leitet, bedauert das: „Leider wird zu wenig darauf eingegangen, was das Haus war, wer die Nutzer gewesen sind.“ Ihrer Meinung nach geht eine Gelegenheit verloren, eine Betriebsstätte für Monumentalplastik vorzuführen; gerade hier ließe sich etwas über die Geschichte des nationalsozialistischen Kunstverständnisses lernen. Aber die Angst vor falschen Freunden steht in Brekers rekonstruiertem Atelier mit im Raum. Nach Schloss Nörvenich im nordrhein-westfälischen Kreis Düren, in dem das Museum Arno Breker residiert, pilgern sie zuhauf.

Die Dahlemer Kunsthaus-Chefin bewegt sich lieber auf sicherem Terrain und untersucht das ästhetische Erbe, die Rezeptionsgeschichte totalitaristischer Werke wie jüngst mit der Präsentation „Die Pracht der Macht“ von Ulrich Wüst, der Aufnahmen aus Berlin, Dresden, Nürnberg und Paris zeigte. Wie unversöhnlich sich die Fronten bei Breker einander gegenüberstehen, war zuletzt bei einem Gastvortrag des Berliner Kunsthistorikers Eckart Gillen zu erleben, der über den „Dekorateur der Macht und Sündenbock der Deutschen“ sprach. Da flogen im einstigen Staatsatelier zwischen Kritikern und Freunden die Fetzen. Gillen selbst erklärte: „Das Beseitigen der Monumente totalitärer Regime fördert die Verdrängung und ein ahistorisches Bewusstsein, es nimmt uns die Möglichkeit des Vergleichens und Wertens.“

Zeigen oder nicht zeigen?

Zeigen oder nicht, damit beschäftigte sich Berlin schon, als Ende der Neunziger das Olympiagelände zur Vorbereitung auf die Fußball-Weltmeisterschaft saniert werden sollte. Im Mai 2006, kurz vor dem Anpfiff, forderten Lea Rosh und Ralph Giordano die Beseitigung der Monumentalskulpturen am Stadion, zumindest deren Verhüllung. Zehn Jahre später stehen Thoraks Boxer, Brekers Zehnkämpfer und seine Siegerin, Joseph Wackerles Rosseführer, Willy Mellers Nike immer noch unversehrt – als integraler Bestandteil der Gesamtanlage und deshalb denkmalgeschützt.

Zur Inszenierung der Macht gehörte 1936 eben nicht nur das eindrucksvolle Rund von Werner Marchs Stadion, der architektonische Oho-Effekt, die dramaturgische Hinführung des Besuchers auf die olympischen Ringe, das Wechselspiel zwischen Volk und Führerfigur – sondern auch die pointierte Platzierung der Monumentalskulpturen.

Karl Albikers martialische Statuen "Diskuswerfer und Staffettenläufer" am Olympiastadion in Berlin-Westend.
Karl Albikers "Diskuswerfer" am Olympiastadion.

© Thilo Rückeis

Auf dem Olympiagelände lässt sich so bis heute erkennen, wie NS-Skulpturen im öffentlichen Raum wirken sollten. Das Individuum verliert sich in der Masse, eine feinsinnige Betrachtung der Kunst war ohnehin nicht erwünscht. Die Skulpturen entfalten ihre Wirkung erst aus der Ferne. André Karsunky, Teamleiter der Stadion-Guides, verweist auf die optischen Tricks. Er betreibt hier „Geschichtsunterricht am Objekt“, wie er es nennt.

Steht man direkt vor Karl Albikers Doppelstandbild „Diskuswerfer und Staffettenläufer“, so wirken die beiden vor allem plump. Der Betrachter hat weniger Sportler als unbewegliche Wächter vor sich, die durch das statisch Blockhafte eher soldatische Wehrhaftigkeit demonstrieren. Sie symbolisieren keine olympische Disziplin, sondern eine Herrschervision wie jene Rosseführer am Übergang zum Maifeld, die der Bildhauer so übergroß proportionierte, dass ihre Pferde wie Ponys wirken. Die Figuren verkörpern Staatenlenker, Armeeführer. Auch Willy Mellers fast neun Meter große Nike feiert keineswegs nur einen sportlichen Sieg. Statt eines Lorbeerkranzes wie das antike Vorbild hält sie in ihrer Hand ein Eichenblatt als Symbol für das Deutsche. Mit ihrem rechten Fuß zertritt sie eine Schlange, womit der „Volksfeind“ gemeint ist, eine unausgesprochene Drohung an alle Gegner.

Der Faustkämpfer versteckt sich, von wildem Grün umwuchert

Thoraks Faustkämpfer versteckt sich heute, von wildem Grün umwuchert. Der bronzene Recke, für den der Boxer Max Schmeling Modell stand, wird von einem Querriegel verdeckt, den die britischen Alliierten erbauten, als sie hier ihre Verwaltung einrichteten. Die Figur wirkt hier noch grotesker. Doch Entfernen, Verstecken kommt auch für Karsunky nicht infrage, zumal die Werke gar keine spezifische NS-Ästhetik besitzen.

"Wir betreiben hier im Stadion Geschichtsunterricht am Objekt." André Karsunky ist Touristen-Guide im Olympiastadion.
"Wir betreiben hier im Stadion Geschichtsunterricht am Objekt." André Karsunky ist Touristen-Guide im Olympiastadion.

© Thilo Rückeis

Monumentalplastiken gab es parallel auch in anderen Ländern, in London, New York, Stockholm. Der Neo-Klassizismus war ein Phänomen der Zeit, der sich nicht mit Totalitarismus gleichsetzen lässt. Die Ästhetik ist bereits älter: Arno Breker entwickelte seinen Stil einer gemäßigten Moderne in den Zwanzigern in Paris, wo er sich bald nach dem Studium niederließ. Über einen Stipendien-Aufenthalt an der Villa Massimo in Rom kehrte er 1933 nach Deutschland zurück, da er sich dort eine bessere Auftragslage versprach.

Zunächst als zu frankophil beiseitegelassen, avancierte der Künstler erst nach und nach zu Hitlers Lieblingsbildhauer. Das Olympiajahr brachte seinen Durchbruch, denn fortan galt die auch von Breker favorisierte antikisierende Form als Ideal. Breker wurde Albert Speers wichtigster Mann. Der Erbauer der Neuen Reichskanzlei und Chefplaner für die Welthauptstadt Germania erkor ihn zu seinem Ausstatter, machte ihn zum „Dekorateur der Barbarei“, wie es der langjährige Akademie-Präsident Klaus Staeck später formulierte.

Gilt dieses Verdikt auch für Georg Kolbe, von dem ebenfalls eine Skulptur im Olympiapark stammt, „Der ruhende Athlet“? Seine Figur befand sich bereits bei ihrer Aufstellung an den Rand gedrängt, seitlich versteckt am Schwimmbassin am Jahnplatz. Der Liegende galt als zu lax, mit seinem lässig aufgestützten Arm und locker auf dem einen Knie abgelegten Bein entsprach er nicht dem Ideal eines kraftstrotzenden Sportlers. An Kolbe zeigt sich die ganze Ambivalenz, er verkörpert jenen Künstlertypus, der im „Dritten Reich“ blieb, sich mit den Nazis arrangierte. Neben Breker und Thorak von den Nazis als bedeutendster Bildhauer des Landes geschätzt, nahm Kolbe, der zwar nie NSDAP-Mitglied war, sich nie besonders engagierte und doch Ehrungen der Partei entgegennahm, den Auftrag für das Olympiagelände gerne an. Er brauchte das Geld, nachdem er sich im Westend ein prächtiges Atelierhaus hatte bauen lassen.

Ist das noch faschistisch? Georg Kolbes "Ruhender Athlet" ist lässig - und auf dem Olympia-Gelände eher dezentral platziert.
Ist das noch faschistisch? Georg Kolbes "Ruhender Athlet" ist lässig - und auf dem Olympia-Gelände eher dezentral platziert.

© Thilo Rückeis

Kolbes Formensprache passte den Nazis ins Konzept. Dies lässt sich in der Ausstellung „Die schwarzen Jahre“ zur Geschichte der Sammlung der Nationalgalerie zwischen 1933 und 1945 (Hamburger Bahnhof, bis 31. Juli) an seinem „Herabschreitenden“ studieren: breite Schultern, muskulöser Oberkörper, stramme Schenkel und Waden. 1941 stand die Figur in der Großen Deutschen Kunstausstellung im Münchner Haus der Kunst und ging dann an die Reichsbank. Die Kriterien für genehme Kunst wurden nie eindeutig geklärt, was zum Teil zu großer Verunsicherung bei den Künstlern führte. Das frappanteste Beispiel bot Rudolf Belling 1937 mit seinem Auftritt sowohl im Haus der Kunst bei den wohlgelittenen Werken als auch in der Ausstellung „Entartete Kunst“.

Eine neue Kunsthistorikergeneration stellt sich der Auseinandersetzung

"Das ist feige!" Julia Wallner vom Kolbe-Museum beklagt, dass Kolbe heute überall als Nazi-Künstler herhalten muss.
"Das ist feige!" Julia Wallner vom Kolbe-Museum beklagt, dass Kolbe heute überall als Nazi-Künstler herhalten muss.

© Thilo Rückeis

Als Georg Kolbe 1947 in Berlin starb, hinterließ er im Garten und Hof seines Hauses, in dem nun das Georg-Kolbe-Museum mit einer Rodin-Ausstellung wiedereröffnet hat, ein Ensemble seiner letzten Werke. Ein ganzer Parcours von Kolbes streitbarem Spätwerk ist zudem unweit im nach ihm benannten Hain zu betrachten. Eine Knieende, ein Stürzender, ein Dionysos, Mars und Venus sowie eine Große Liegende verteilen sich im kleinen Park. Auch hier gewaltige Figuren, monumentale Gestalten, vor allem der Stürzende wirkt mit seinen Muskelpaketen wie eine Heros, der allerdings keineswegs siegreich aus dem Kampf hervorgeht.

Julia Wallner, seit drei Jahren Direktorin des Kolbe-Museums, hat sich vorgenommen, die Unterschiede zwischen Kolbe und den Lieblingsbildhauern Hitlers Thorak und Breker künftig genauer herauszuarbeiten. „Kolbe muss als NS-Künstler herhalten, Breker wird nicht ausgestellt. Das ist feige“, sagt sie. Die Neue Pinakothek in München wagte 2015 den Schritt, indem sie unter dem Titel „GegenKunst“ Adolf Ziegler und Max Beckmann, Josef Thorak und Otto Freundlich einander gegenüberstellte. Um der Mystifizierung von NS-Kunst ein Ende zu bereiten, wie es hieß. Gleichwohl arbeitete sie wieder mit Polarisierung, die feine Unterscheidung wagte sie nicht. Die Gratwanderung zwischen einem Staatskünstler wie Breker und einem Mitläufer wie Kolbe trauten die Kuratoren ihrem Publikum doch nicht zu.

Julia Wallner gehört zur neuen Generation Kunsthistoriker, die sich einer direkten Auseinandersetzung stellt. „Wir sind weit genug entfernt und haben zugleich eine Verpflichtung“, beschreibt sie ihre Position. Kurz nach dem Krieg wurden von den Nachlassverwaltern noch Briefe Kolbes aussortiert, die mit „Heil Hitler“ unterschrieben waren. Heute stellt sich die Forschung der gebrochenen Biografie des Künstlers. Längst wird generell genauer hingeschaut, auch die Fälle heute hoch geschätzter Protagonisten der Moderne, Oskar Schlemmer, Mies van der Rohe, Ernst Wilhelm Nay, Emil Nolde, die sich zu Beginn des „Dritten Reiches“ Hoffnung auf eine Karriere im System machten und entsprechende Schreiben an die Reichskulturkammer richteten, werden nun nicht mehr unterschlagen. Die Erkenntnis: Die Kunst geht nach dem Brot, damals wie heute, das ist, leider, bekannt. Dafür stehen aktuell jene Architekten, die in China und Abu Dhabi Großaufträge zu ergattern suchen.

Auf musizierende Engel folgen Wehrmachtsoldaten und SS-Offiziere

Stahlhelm auf zum Gebet. In der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf sind NS-Insignien bis heute präsent.
Stahlhelm auf zum Gebet. In der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf sind NS-Insignien bis heute präsent.

© Thilo Rückeis

Die Mitglieder der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf dagegen haben keine Wahl. Sie müssen sich der unrühmlichen Vergangenheit ihres Gotteshauses stellen. Wer es betritt, sieht sich mit Nazi-Dekor reinsten Wassers konfrontiert. 1933 bis 1935 erbaut, wurden für die Ausgestaltung der Kirche christliche und nationalsozialistische Symbole miteinander kombiniert, wie es dem Weltbild der staatsnahen Deutschen Christen entsprach. Gleich im Entrée, einer Ehrenhalle für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, hängt ein Leuchter mit dem Eisernen Kreuz, umrankt von Eichenlaub.

Fast schockierend wirken die Terrakottareliefs an den Wänden rechts und links des Altarraums sowie entlang des Triumphbogens, die abwechselnd NS-Hoheitszeichen und christliche Motive zeigen; auf musizierende Engel folgen die Köpfe behelmter Soldaten und SS-Offiziere. Das Programm setzt sich fort bei Kanzel und Taufbecken, als Christi Jünger treten Soldat, SA-Mann und Hitlerjunge auf. Der Gekreuzigte am Altar gerät zum Kuriosum, wirkt er doch mit seiner athletischen Figur eher wie ein Superheld, weniger wie ein Sterbender. Natürlich sind die Hakenkreuze längst entfernt, nur Aussparungen erinnern noch daran. Auch das Porträt-Halbrelief von Hitler fehlt, es wurde gegen Luther ausgetauscht, der Kopf des Reichspräsidenten Hindenburg blieb.

"Eine Orgel kann doch nicht verteufelt werden." Pfarrer Hans-Martin Brehm setzt sich täglich mit dem Erbe auseinander.
"Eine Orgel kann doch nicht verteufelt werden." Pfarrer Hans-Martin Brehm setzt sich täglich mit dem Erbe auseinander.

© Thilo Rückeis

Jahrelang wollte sich die Landeskirche mit diesem Schmuddelkind nicht befassen, bis der Bau saniert werden musste und unter Denkmalschutz gestellt wurde. Heute gilt er als ein letztes Zeitzeugnis seiner Art, als Mahnmal. In den anderen der über 700 evangelischen und katholischen Kirchen, die während der NS-Zeit entstanden, wurden die Spuren der Erbauer schnell getilgt. Warum dies in Mariendorf nicht geschah, lässt sich nicht mehr klären. Für die Gemeinde bedeutet die sichtbare Vorgeschichte eine Hypothek.

Pfarrer Hans-Martin Brehm hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Hintergründe zu erklären und Besucher auf die Gegenzeichen zu verweisen: etwa die Auschwitz-Collagen eines polnischen Künstlers in den Nischen des Kirchenschiffs. Auf dem Weg nach draußen zeigt er hoch zur Orgel, die vor ihrem Einbau in Mariendorf 1935 auf dem siebten Reichsparteitag in Nürnberg gespielt wurde, wo die Rassegesetze verkündet wurden. „Ein Instrument kann doch nicht verteufelt werden,“ sagt er, fast trotzig. Die Scham schüttelt er trotzdem nicht ab. Ihr stellt sich der Pfarrer seit 1983, er nennt es „Erbteil“ – und nimmt ihn an.

Der „völkische Gedenkstein“ wurde in Zehlendorf geborgen

Während die Gemeinde zum offenen Umgang gezwungen wird, zeichnet sich auch in den Museen eine zunehmend direkte Auseinandersetzung mit den Zeugnissen der Vergangenheit ab. Jüngstes Beispiel in Berlin: die Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Spandauer Zitadelle mit rund hundert Originalen aus den letzten 150 Jahren, darunter auch ein völkischer Gedenkstein, der 2011 an der Argentinischen Allee in Zehlendorf geborgen wurde. Der acht Tonnen schwere Koloss mit der Inschrift „30. Hartung 1933“ (Hartung für Januar) und germanischen Symbolen wie Sonnenrad und Irminsul sollte an die teutonischen Wurzeln der NS-Bewegung erinnern. Nach Kriegsende wurde er gleich neben seinem Aufstellungsort vergraben.

"Zeugnisse der Vergangenheit stoßen nicht überall auf Gegenliebe." Carmen Mann versammelt sie dennoch in der Zitadelle Spandau.
"Zeugnisse der Vergangenheit stoßen nicht überall auf Gegenliebe." Carmen Mann versammelt sie dennoch in der Zitadelle Spandau.

© Kitty Kleist-Heinrich

Heute steht dort eine abstrakte Stahlskulptur des Berliner Bildhauers Volkmar Haase, weiterhin umstellt von Eichen, die damals eigens für den NS-Gedenkstein angepflanzt wurden. Carmen Mann hat den in zwei Teile gebrochenen Stein entdeckt. Für die Ausstellung wurde er ausgegraben, wie der berühmte Kopf des Lenin-Denkmals vom heutigen Platz der Vereinten Nationen, der ebenfalls im Provianthaus der Zitadelle zu sehen ist.

„Diese Zeugnisse der Geschichte stoßen nicht überall auf Gegenliebe“, sagt die Historikerin und hofft doch auf weitere Funde aus der NS-Zeit. Denn einerseits gab es damals erstaunlich wenige Denkmale, die meisten entstanden bis 1935, danach richtete sich der Gestaltungswille der Machthaber auf die architektonische Entwicklung der Reichshauptstadt, dann den Krieg. Erstaunlich auch, welche Denkmale nach Kriegsende blieben. Eine digitale Karte führt den Ausstellungsbesucher zu rund 600 Objekten in der Stadt, darunter auch ein Denkmal von 1933 für Albert Leo Schlageter als „Märtyrer der Bewegung“.

Unsichtbar gemacht. Die auf diesem Findling eingelassene Tafel für einen "Märtyrer der Bewegung" wurde 1945 entfernt.
Unsichtbar gemacht. Die auf diesem Findling eingelassene Tafel für einen "Märtyrer der Bewegung" wurde 1945 entfernt.

© Zitadelle Spandau/Friedrich Hoffmann

Die auf dem Findling eingelassene Tafel wurde 1945 entfernt und durch eine Erklärung zur Dorfaue Wilmersdorf ersetzt. 71 Jahre später kehrt auch hier via Spandau die Geschichte zurück. Es wäre Zeit, vor Ort zu erzählen, warum dieser Trumm überhaupt mitten in den Rabatten steht. Gegenwärtig beschreibt er dort noch einen blinden Fleck.

Dieser Text erschien zunächst am 7. Mai 2016 in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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