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Björn Böhning, der Chef der Berliner Senatskanzlei, bei der Befragung im Hauptausschuss des Parlaments.

© imago/Stefan Zeitz

Affäre McKinsey und Diwell in Berlin: Böhnings Rückhalt in der SPD hat Grenzen

Viele Fragen blieben in der Befragung des Senatskanzleichefs offen. Und Björn Böhning ist weiter umstritten, auch in der SPD. Wer ist der machtbewusste Sozialdemokrat?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Ein cooler Typ, der Björn Böhning. Im dunkelblauen Anzug steht er vor den Kameras, mit staatsmännischer Miene und kerzengerader Haltung wartet er auf den Beginn der Sondersitzung des Hauptausschusses im Abgeordnetenhaus. Dann nimmt sich der Chef der Senatskanzlei eine Stunde Zeit, um einige Dutzend Fragen der Opposition zur Affäre um McKinsey und den Ex-Staatssekretär und SPD-Mann Lutz Diwell zu beantworten.

Gleich zu Beginn sagt Böhning: „Es gibt keinen Filz.“ Flott und forsch kommt ihm das über die Lippen, der Mann ist gut vorbereitet, zählt Daten und Fakten auf. Aus seiner Sicht. Zwischendurch entschuldigt sich der Kanzleichef artig bei den Abgeordneten, weil er das Parlament so spät über die Auftragsvergabe informiert habe. „Das war ein Versehen, das kommt nicht wieder vor.“ Angesichts der Flüchtlingsprobleme habe man schnell handeln müssen, so erklärt er seine „ungewöhnliche Vorgehensweise“.

In perfekter Regie mischt sich am Ende der zweiten Fragerunde des Hauptausschusses der mächtige SPD-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider ein. Die freihändige Vergabe an McKinsey durch Böhning sei durch das Haushaltsrecht gedeckt, ob sie politisch klug sei, „da ist man hinterher schlauer“. Dann gibt er dem Genossen Kanzleichef noch eins mit. Das Parlament sei in schwierigen Zeiten durchaus flexibel und adhoc hilfreich, aber das funktioniere nur, „wenn die Kommunikation funktioniert“. Erst der letzte Satz Schneiders führt dazu, dass sich Böhning erkennbar entspannt. „Nach derzeitiger Sachkenntnis ist die Angelegenheit für die SPD erledigt.“

Nach Ostern geht es weiter

Es hat fast eine Woche gebraucht, bis sich die Sozialdemokraten zu dieser Haltung durchgerungen haben. Seitdem die Affäre öffentlich diskutiert wird, erlegten sich Fraktionschef Raed Saleh und Parteichef Jan Stöß eine Art Schweigegelübde auf. Die Sache war für sie nicht leicht. Einerseits konnten sie den designierten SPD-Spitzenkandidaten Michael Müller für die Berliner Wahl am 18. September nicht im Regen stehen lassen. Andererseits wollten sie den in der eigenen Partei wenig beliebten Böhning nicht eilfertig entschuldigen – und nahmen dafür sogar den wachsenden Missmut Müllers in Kauf.

Jetzt darf der Kanzleichef, auch wenn aus Sicht der Opposition noch viele Fragen offen sind, erst einmal Ostereier verstecken und im April den Jahresurlaub antreten. Anschließend wird das Parlament das heikle Thema wieder aufrufen. „Wir bleiben dran“, kündigt auch der sozialdemokratische Hauptausschussvorsitzende Fréderic Verrycken an. Zwar gibt es SPD-Funktionäre, die über die Medien schimpfen, die „die Sache völlig hochgespielt haben“. Doch wer die öffentliche Verwaltung und den Umgang mit Steuergeldern aus eigener Erfahrung kennt, ahnt nach der Einvernahme von Böhning am Mittwoch immer noch Böses.

Böhning hat nicht nur Freunde

Selbst in der eigenen Partei trauen viele dem Chef der Senatskanzlei zu, dass er getrickst und gemauschelt hat. Und zwar so, dass auch dem Regierenden Bürgermeister Müller zumindest die Details der Auftragsvergabe und der Rolle Diwells verborgen blieben. Und so mischt sich in die Sorge um eine Beschädigung des Spitzenmanns Müller, der die SPD erfolgreich in den Wahlkampf führen soll, klammheimliche Schadenfreude.

Denn Böhning hat im SPD-Landesverband nicht nur Freunde. Der 37-jährige Parteilinke gilt als Routinier der Macht, aber auch als Rechthaber und Karrierist. Ein Mann der großen Worte mit kleiner Wirkung. Durchaus ein netter Kerl, sport- und kulturbegeistert, mit dem man Bier trinken und über Hertha BSC diskutieren kann. Ein Brit-Pop-Fan mit Seitenscheitel, Schwarm jeder Schwiegermutter. Klug und belesen. Aber die ehemals großen Hoffnungen, die er selbst in sich setzte, blieben weitgehend unerfüllt. Für eine Rückkehr in die Bundespolitik, die Böhning immer wieder anstrebte, gibt es derzeit keine Indizien.

Erst 1999, im zarten Alter von 21 Jahren, kam der ehemalige Vize-Chef der Jungsozialisten in Schleswig-Holstein aus seiner Heimatstadt Lübeck nach Berlin. Fünf Jahre später stand der frisch gebackene Diplom-Politologe an der Bundesspitze der Jusos und gehörte bis 2011 dem SPD-Parteivorstand an. Die Zeit bei den Jusos, sagt Böhning, habe ihn „stark geprägt“. Diskutieren und Anträge schreiben, verhandeln und vermitteln, das habe er dort gelernt.

Enger Draht zu Andrea Nahles

Er ist ein Parteimann, durch und durch, ohne berufliche Erfahrung außerhalb der Politik. Sein Jugendtraum war es, Oberbürgermeister von Lübeck zu werden. Später spotteten Genossen, er traue sich längerfristig auch den Job des Bundeskanzlers zu. Er gehört zweifellos zu jenen „Politologen und Soziologen, die überall in der Partei an die Fleischtöpfe drängen“, wie es ein Sozialdemokrat formuliert, der sich um die zunehmend schwache Verankerung der SPD in der Zivilgesellschaft sorgt.

In der Parteilinken gilt Böhning seit seiner Juso-Karriere als exzellent vernetzt. Einen besonders engen Draht, so heißt es, habe er nach wie vor zur Bundesarbeitsministerin und früheren SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Die zeitweise tragende Rolle Böhnings im linken Flügel der Bundespartei, deren Sprecher er als Nachfolger der Genossin Nahles war, brachte ihm 2007 in Berlin einen interessanten Job ein: Der damalige Regierungschef Klaus Wowereit brauchte Unterstützer und Ratgeber für seine bundespolitischen Ambitionen. Er setzte Böhning als Grundsatz- und Planungsreferent ins Rote Rathaus, auf eine neu geschaffene Stelle. Als Chefstratege sollte er Analysen erarbeiten und Projekte entwickeln und dem Chef helfen, den Weg in die Parteispitze zu finden.

Personelle Kontinuität wahren

Im zweiten Anlauf gelang das, 2009 wurde Wowereit Vize-Chef der SPD. Ob Böhning dazu maßgeblich beigetragen hat, sei dahingestellt. Ihm selbst gelang es nicht, im selben Jahr in den Bundestag einzuziehen. Sein Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg ging, wie zu erwarten, an den Grünen Hans-Christian Ströbele. Auf einem aussichtsreichen Platz der Landesliste wollten ihn die Berliner Parteifreunde damals nicht platzieren. Bei einer Kampfabstimmung gegen den Alt-Linken Klaus Uwe Benneter ging der Jungmann mit fliegenden Fahnen unter. Er brachte nur 64 Delegierte hinter sich, Benneter kam auf 140.

Immerhin rückte Böhning 2011 zum Chef der Senatskanzlei auf. Das war mehr als nur ein Trostpflaster. Und so diente er treu dem Regierenden Bürgermeister Wowereit, der wegen des Flughafens BER zunehmend in Bedrängnis geriet und im August 2014 seinen Rückzug ankündigte. Sein Kanzleichef wurde davon im Urlaub mit der Familie in Polen überrascht. Böhning behielt aber den leitenden Job, weil der neue Regierungschef Müller, frisch im Amt und das mitten in der Wahlperiode, personelle Kontinuität wahren wollte und auf die bundespolitischen Erfahrungen Böhnings setzte.

Nach der Wahl eine neue Aufgabe?

Viele hatten eigentlich damit gerechnet, dass Müllers enger Vertrauter, der frühere SPD-Fraktionsgeschäftsführer und mächtige Kreischef in Charlottenburg-Wilmersdorf, Christian Gaebler, im Dezember 2014 die Senatskanzlei übernehmen sollte. Gaebler wurde stattdessen Verkehrs-Staatssekretär, doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Zwar sieht es so aus, als wenn Böhning die McKinsey-Affäre mit schmerzenden Schrammen beruflich überlebt, doch nach der Abgeordnetenhauswahl am 18. September, so hört man, werde er sich wohl eine neue Aufgabe suchen müssen.

Denn unabhängig vom „Fall Diwell“ gilt der SPD-Mann im Roten Rathaus seit längerer Zeit schon als entbehrlich. Dem Küchenkabinett Müllers gehörte er von Anfang an nicht an. Zu dessen engstem Beraterkreis zählen Senatssprecherin Daniela Augenstein, Kommunikationsberater Robert Drewnicki und Büroleiter Andreas Schwager. Zentral wichtig sind für Müller auch der Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup und Flüchtlings-Staatssekretär Dieter Glietsch. Doch der Kanzleichef ist eher fünftes Rad am Wagen, obwohl es von Amts wegen Böhnings Aufgabe ist, die Arbeit der Senatsbehörden in Berlin politisch und organisatorisch zu koordinieren, Impulse zu setzen und den Regierungschef strategisch zu beraten.

Wo bleibt das kostenlose W-Lan?

Die Kritik an Böhnings Arbeit ist schon in der Ära Wowereit koalitions- und parteiintern gewachsen. Die Koordination der Berliner Verwaltung und die Prioritätensetzung müssten dringend verbessert werden, hörte man immer wieder. Böhning eilt der Ruf voraus, zwar nie auf den Mund gefallen, aber nicht besonders effektiv zu sein. Und er behalte Herrschaftswissen gern für sich. Ein trickreicher Mechaniker des Regierungsalltags, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Als Chef der Senatskanzlei begleitete er an der Seite Wowereits, anschließend Müllers, beispielsweise das Flughafen-Desaster und den Olympia-Flop, seit 2012 kündigt er ein kostenloses City-W-Lan an. Seit einem Jahr schwelt die Flüchtlingskrise, die Müller zur Chefsache erklärt hat. In der Rückschau gesehen ist die Arbeit Böhnings seit 2011 nicht von großer Fortune begleitet.

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