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Berlin: Agnes Vockeroth (Geb. 1921)

Ein anderer, neuer Heinz, Schmied von Beruf, erweicht ihr Herz.

In die Sterbeanzeige montieren Schwiegersohn und Tochter ein Jungmädchenbild von ihr. Eine Nette schaut aus diesem Bild heraus, das Kostüm, der Hut – alles schreit „Vierziger Jahre!“ und ist von erschreckender Lebendigkeit: So eine, mit einem Lächeln und mit Locken, könnte die Frau sein, mit der man jederzeit und allerorts ins Reden kommt.

Die Eltern, so genannte Häusler, Kleinstbauern, leben in Niederschlesien, noch hinter Breslau, als Agnes auf die Welt kommt. Sie ist die erste von sieben, und Vater Karl seufzt kurz nach ihrer Ankunft: „Ach Jottchen, a bissel kleen isse aber schon.“ Was die Zentimeter angeht, soll das so bleiben, mehr als 158 werden es nicht. „Doch im Leben – da ist sie eine Große“, schreibt Schwiegersohn Karl- Heinz in seinem Agnes-Rückblick. Das Wort Gutmensch passt zu Agnes Vockeroth, jedoch nur im Ursprungskern, nicht in der ironischen Verzerrung. Mit zehn kommt sie zum Arbeiten auf den Großvaterhof, weg von Eltern und Geschwistern, Schule ist Nebensache. Zu Weihnachten gibt’s neue Holzklotschen und eine Tafel Schokolade. Agnes beklagt sich nie, ihre Maxime: „Man muss zufrieden sein.“

Dann ist sie 16 und in Stellung bei „Majors“. Ist Kindermädchen, Putz- und Zugehfrau in einem. Versüßt die Tage ihrer Herrschaft mit Schlesischem aus Topf und Pfanne. Kassler mit Hefeklößen und zu Neujahr „Mohnpielen“, eine Süßigkeit, gemacht aus Schrippen vom Vortag, Mohn, Milch und Rosinen. Kaiser Wilhelm I. mochte die. Ein Leben lang wird Agnes Vockeroth ein Lächeln auf die Gesichter ihrer Lieben zaubern, sobald sie sich die Küchenschürze anzieht: Bei Agnes, wissen alle, kommt Herrliches heraus.

Im Schicksalsjahr 1939 zieht Agnes nach Berlin und rackert weiter, bei der Reichspost jetzt. Ein Optimist wie sie geht abends nach der Plackerei noch tanzen. Agnes ist jung, sie sehnsüchtelt nach einem Mann. Der kommt auch, ist Offizier, heißt Heinz und macht ihr einen Antrag. Frau Sternitzke heißt sie nun, ein halbes Jahr später, schon mit 21 Jahren, ist sie die Witwe Sternitzke, Heinz fiel an der Ostfront. Nie wieder will sie heiraten. Und geht doch mit Freundin Ille weiterhin zum Schwoof ins „Haus Vaterland“, Potsdamer Platz. Ein anderer, neuer Heinz, Schmied von Beruf, erweicht ihr Herz, ein Jahr vor Kriegsende wird sie Frau Vockeroth.

Berlin in Trümmern 1945, viele sind ausgebombt, auch Vockeroths. In der Westfälischen Straße in Wilmersdorf gibt es parterre noch eine Unterkunft, das Ehepaar zieht ein, und kommt über den Hungerwinter 1946. Man hamstert und verscherbelt Schrott, das Holz zum Heizen ist aus dem Grunewald, die Stubben werden mit Hand gerodet. Agnes ist schwanger mit Tochter Nummer eins, zwei Jahre später folgt auf Gabi Christel. Der Hunger bleibt Küchenmeister, auch bei Vockeroths. „Man muss zufrieden sein.“ Später geht’s aufwärts, auch im Haus, Agnes und Familie ziehen von parterre in den dritten Stock, anderthalb Zimmer für vier Leute, Ansprüche – das Wort gibt es damals nicht. Auch anderthalb Zimmer können eine Heimat sein – Agnes wird hier fast 60 Jahre leben.

Ein Straßenhandel, Obst und Gemüse, wird die Profession von Agnes und Heinz, Agnes hat immer Angst, dass man ihr die Kasse stiehlt. Abwechslung gibt es am Wochenende, man geht wie viele andere zum Catchen in den „Rundbau am Zoo“ oder auf ein ordentliches Schaschlick zum „Dicken Heinrich“ an den Ku’damm. Obst und Gemüse tauschen die Eheleute später gegen Weihnachtsbäume, die holen Heinz und sie aus Dänemark, später aus Holstein, schließlich wird selbst gezüchtet. „Und Agnes“, schreibt Schwiegersohn Karl- Heinz liebevoll, „kleiner als die meisten ihrer Bäume mittendrin“. Die Töchter werden junge Damen und dann Ehefrauen, „und für sich? Schön sparsam bleiben. Reisen, Schmuck, Klamotten? I wo - Arbeit! Morgens um halb drei. Zu Weihnachten von Heinz das Fläschchen Chanel Nr. 5 als wiederkehrendes Ritual.“

Mit Heinz dem Zweiten stirbt 1988 auch das Geschäft. Jetzt hat Agnes ja die Enkel, sie macht und tut für die Familie, und das Verkaufen, das sie immer noch nicht lassen kann, passiert nun am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte. Obst und Gemüse, was sonst. Wie eine Löwin beschützt sie das Geschäft, und rennt, schon über 70 und mit schweren Beinen, noch einem Dieb nach. Der Garten, erst in Spandau, dann in Tegel, wird ihr Refugium, das Kochen für die Familie auf zwei Mini-Herdplatten eine echte Kunst: Wer wenn nicht sie kriegt es ohne Jammern, ohne Klagen trotzdem hin?

Ihrem Enkel Sascha versüßt sie die Hochzeit. Die Trauung, abgehalten in der glockenlosen aber katholischen St. Albertus Magnus Kirche wird begleitet vom Geläut der Kirche nebenan. Die ist zwar evangelisch, doch wen schert das? Agnes’ opulente Spende an den Küster hat ihn weich gemacht.

Im Mai 2007 die Diagnose Blasenkrebs im fortgeschrittenen Stadium, die Töchter geben jetzt zurück, was jahrelang von Agnes kam: Fürsorge, Hilfe und Ermunterung. Ein Bild aus ihren letzten Tagen zeigt eine Dame, reich an Jahren, die keineswegs schon eine Greisin ist. Als wenn die harte Arbeit lebenslang auch Jungbrunnen für sie war – Agnes ist eine elegante Dame, ihr kleiner Körper lange nicht verwelkt wie der von anderen Gleichalten. Und bis zu ihrem Ende wird Grandezza von ihr ausgehen. Schon sterbend und umsorgt von beiden Töchtern, singt sie der einen am 17. Dezember noch ein Geburtstagsständchen: „Ich freue mich, dass du geboren bist.“ Zwei Tage später geht Agnes Vockeroth. „Man muss zufrieden sein.“ 

Judka Strittmatter

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