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Mut am Gaul. Damit der Rückwärtssalto von einem Pferd zum anderen klappt, müssen beide Tiere konsequent im gleichen Tempo laufen. Hier ein Schnappschuss von der erfolgreichen Show der Berolina-Truppe beim Zirkusfestival 2014 in Monte Carlo.

© Fréderic Nebinger

Akrobatik auf Pferderücken: Kaltblütige Heißsporne

Perfekte Akrobatik auf Pferderücken: Jockeyartisten sind im Zirkus besonders hoch angesehen – viele gibt es nicht mehr. Die Jüngsten kommen aus Berlin. Bis zum 27. April zeigt die Truppe im Zirkus Berolina an der Heidestraße am Hauptbahnhof ihre waghalsigen Nummern.

Bajazzo ist ihr Bester. Ein Deutscher Kaltbluthengst. 900 Kilo schwer, Muskelpakete unterm schwarzen Fell, schwere Hufe, breite Brust und ein Gemüt, das nichts aus der Ruhe bringt. Kein Jubelsturm des Publikums, keine blitzenden Scheinwerfer. Oder ein 72-Kilo-Mann wie Marcello, der jetzt Bajazzos Rücken als Absprung- und Landeplatz für seine Saltos nutzt. Die Kuppe des Pferdes hebt sich ein klein wenig. Das ist der perfekte Augenblick. Marcello schnellt in die Höhe, wirbelt herum, setzt mit federnden Knien wieder auf, wenn sich Bajazzos Rücken gerade senkt. Präzisionsarbeit. Alltag für für den 22-Jährigen und vier weitere Jockeyartisten im Zirkus Berolina, dessen Zelt derzeit am Hauptbahnhof steht.

Jockeyreiterei in der Manege, das hat nichts mit Galopprennen wie in Hoppegarten zu tun. Artistik auf Pferden gehört zu den ältesten klassischen Zirkuskünsten. Und zu den aufwendigsten und arbeitsreichsten. Man muss gleich zweierlei schaffen: die Tiere dressieren, ein Gespür für sie entwickeln. Und ein perfekter Akrobat sein. Deshalb gibt es in Europa derzeit nur drei dieser Truppen. Die Berolina-Jockeyreiter sind die Jüngsten. Nach Marcello kommt Mario, 21, dann Marlon, 20, Alessandro, 15, und James, gerade mal 13 Jahre alt. Im vergangenen Februar hatten sie ihren bislang größten Erfolg: Sie gewannen beim weltweit renommierten Circusfestival in Monte Carlo als zweitbeste Nachwuchsgruppe den Silbernen Clown.

Seit sechs Jahren trainieren sie auf ihren fünf gutmütigen Kaltblütern. Zwei Proben jeden Tag, meist auch an Wochenenden. Ein nachhaltiges Familienunternehmen. Denn alle heißen Spindler. „Unsere Oma hatte sechs Söhne“, erklärt Marlon. „Na ja, die haben alle geheiratet, Kinder bekommen. Wir sind die Söhne aus zwei dieser Familien.“ Die drei Generationen ziehen mit ihrem Zirkus Berolina über Land, machen zurzeit in rot-weißen Wohnwagen neben dem Zelt an der Heidestraße vier Wochen Station. Ein ungewöhnlich langes Gastspiel – mit gutem Grund. „Berlin ist unser Zuhause“, sagt Marlon. Die Spindlers sind eine alte Berliner Zirkusfamilie. Sie halten auch die traditionsreiche Berliner Weihnachtsshow „Menschen, Tiere, Sensationen“ seit langem am Leben.

Mittagszeit, die leeren Ränge sind noch im Dunkeln. Spots auf die Manege. Das Jockey-Quintett schlendert ins Zelt. Schlanke Jungs in weiten Trainingsanzügen. Sie lassen Bajazzo und den Wallach Mine im Manegenrund traben. Hufe poltern gegen die Bande. Bajazzo schnaubt. Der Gang der Pferde wird immer ruhiger, gleichmäßiger. Kaum hörbar schnalzt Marios Peitsche. Er steht in der Mitte und führt die Pferde. Bajazzo und Mine halten ihn im Auge, reagieren auf jede kleinste Bewegung der Peitschenspitze. Mario nennt das die „Aufwärmphase“. Ein bisschen Fitnessstudio für Pferde? Nein, es gehe darum, ihnen „Gleichmaß und Gelassenheit“ zu vermitteln, sagt Mario. Und ein „unsichtbares Band des Vertrauens“ zu knüpfen – zwischen Tieren und Artisten.

Alessandro läuft an, hält sich kurz neben dem trabenden Mine, greift in die Mähne, sitzt mit Schwung auf, geht in den Stand mit ausgebreiteten Armen. Grundübung fürs Balancegefühl. Mine hält verlässlich den Trabrhythmus. Alessandro legt los. Flic-Flac, Saltos. Beim Absprung gibt er sich einen kräftigen Drall nach vorne. „Ganz wichtig“, sagt er und lacht. „Der Gaul läuft ja unter mir weiter.“ Alessandro will nicht „hinterm Pferdeschwanz landen“. Also muss auch er in der Luft, beim Herumwirbeln, ein Stückchen vorankommen.

Tollkühnes Quintett. James, Alessandro, Marlon, Mario (von links) auf Bajazzo und Marcello am Zaumzeug.
Tollkühnes Quintett. James, Alessandro, Marlon, Mario (von links) auf Bajazzo und Marcello am Zaumzeug.

© Georg Moritz

„Go“ für Marcello. Die Pferde traben eng aufgeschlossen. Der junge Mann wippt in den Knien, vorne auf Bajazzo. Er weiß: „Der Hengst kennt mich persönlich und mein Lieblingstempo.“ Das hält Bajazzo konsequent wie eine Maschine ein. Marcello schleudert hoch, Rückwärtssalto, landet auf Mines Kuppe. Kurze Wackelpartie.

Jetzt Mario und James. Beide stehen kerzengerade hintereinander auf Bajazzos Rücken. Zwei Klettergriffe, der 13-Jährige balanciert eine Etage höher auf Marios Schultern. „Zwei-Mann- hoch“ heißt diese Nummer. Sie reizt zu mehr. „Drei-Mann-hoch wollen sie irgendwann schaffen. Das habe es bisher in der langen Zirkusgeschichte nur zwei oder drei Mal gegeben, sagt Mario. Und alle fünf sehen sehr entschlossen aus.

Der Zirkus Berolina mit Clowns, Artisten, Elefanten und vielen anderen Tierdressuren gastiert noch bis zum 27. April an der Heidestraße (Nähe Hauptbahnhof), Parkplatz am Zelt. Di–Fr 17 Uhr, Sa 14 + 18 Uhr, So 11 + 15 Uhr. Karten ab 13 Euro, ermäßigt 8 Euro. Mehr Infos unter: www.circusberolina.de

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