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Bechem

© Thilo Rückeis

Aktion Ehrensache: Die Vertrauensfrau

"Meine Opfer", sagt Claudia Bechem und meint damit ihre Schützlinge: Menschen, denen Gewalt angetan wurde. Für den Weißen Ring betreut die frühere Kriminalbeamtin Klienten und gibt ihnen Sicherheit – auch vor Gericht.

Es sind die kleinen Dinge, die so viel bewirken. „Ich werde nie vergessen, wie liebevoll Frau Bechem mir einmal ein Kissen in den Rücken gelegt hat. So etwas kannte ich bis dahin nicht“, sagt Ayse Müller (Name von der Redaktion geändert). Der 39-jährigen Deutschtürkin stehen Tränen der Rührung in den Augen, als sie ihre Helferin anblickt. Claudia Bechem, 52, ist eine von 80 ehrenamtlichen Mitarbeitern des Weißen Rings in Berlin. Aus gesundheitlichen Gründen als Kriminalbeamtin frühpensioniert, kümmert sie sich nun ehrenamtlich um Opfer von Kriminalität und Gewalt. Wenn es sein muss, rund um die Uhr.

Claudia Bechem ist verheiratet und Mutter zweier erwachsener Söhne. Für ihr Ehrenamt ist sie immer im Dienst. „Ich habe mir für den Weißen Ring eine Sonderrufnummer und einen Anrufbeantworter angeschafft.“ Die Familie habe gelernt, das zu akzeptieren. „Die Aufgabe ist eine Bereicherung.“ So geht sie regelmäßig auf Hausbesuch zu Menschen, denen sie helfen soll. „Meine Opfer“, nennt sie sie.

Heute ist der Treffpunkt das wohnlich eingerichtete Zeugenzimmer der Spandauer Polizeidirektion 2. „Ich dränge Menschen nie, über intimste Dinge zu reden“, sagt die Frau vom Weißen Ring. „Die Opfer brauchen nur auszusprechen, was sie wirklich erzählen wollen.“ In Ayse Müllers Fall klang das so: Mit 13 Jahren zwangsverheiratet mit einem Verwandten aus der Türkei. Immer wieder Vergewaltigungen, Geburt von vier Kindern. Die Zahnarzthelferin brauchte Jahre, um ihren Mann zu verlassen. Sie ließ die türkische Kultur hinter sich, lernte einen Deutschen kennen. Auch er trank, schlug und demütigte sie. Sie brach auf der Straße zusammen, wurde ins Gesundheitsamt gebracht – eine der Mitarbeiterinnen kannte Claudia Bechem. „Wenn ich Frau Bechem nicht kennengelernt hätte, säße ich in der geschlossenen Psychiatrie“, sagt Ayse Müller überzeugt.

Die frühere Kriminalbeamtin freut sich, wenn etwa Polizeikommissarin Gabriela Retschlag sagt: „Die Helfer vom Weißen Ring sind unentbehrlich.“ Claudia Bechem empfindet es als erfüllend, dass sie nun beim Weißen Ring anwenden kann, was sie bei der Polizei gelernt hat. „Meiner Erfahrung habe ich es zu verdanken, dass ich so selbstbewusst auftreten kann.“ Im Fall Müller rief sie den Täter an und vereinbarte einen Termin, zu dem das Opfer persönliche Sachen unter Polizeischutz aus der Wohnung holen konnte. Der Beschuldigte war da ganz kleinlaut.

So sanft die 52-Jährige wirkt, so aufmerksam sie zuhören kann, so resolut stellt sie sich vor die Klienten, wenn die Situation es erfordert. Wenn sie bei Behördengängen dabei ist, „öffnet der Name Weißer Ring schon mal Türen“. Sie ist speziell dafür ausgebildet, „Opferzeugen“ auf das Gerichtsszenario vorzubereiten. „Ich erkläre, wer im Saal wo sitzt und dass der Beschuldigte lügen darf, die Zeugen aber nicht.“ Nach ihrem Coaching gehen Opfer gefasster in die Verhandlung. Claudia Bechem ist an ihrer Seite. „Ich habe auch immer Taschentücher, Schokoriegel und Getränke dabei.“

Wie verkraftet sie die Konfrontation mit so vielen Schicksalen? „Ich habe professionelle Distanz.“ Sie weiß, das klingt hart, doch anders funktioniere ihre Arbeit nicht. Nichts zu nah an sich heranlassen, nicht das Mitleid mit dem Opfer, nicht die verstörenden Lebensläufe. Und trotzdem voller Herzlichkeit helfen. Das ist nicht immer einfach, Claudia Bechem baut vor: Sie hat Entspannungstechniken erlernt, konnte manches in der Supervisionsgruppe des Weißen Ringes verarbeiten. Und dann die Familie: „Die muss mich in meinem Engagement auch mal bremsen.“ Ayse Müller sagt: „Ich konnte mir nicht helfen. Das konnte erst Frau Bechem.“ Ein Glücksmoment. Jetzt strahlen beide.

Annette Kögel

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