zum Hauptinhalt
Nur ein Symbolbild! Ob die Pflegedienstmitarbeiter, die 2012 in der Fußgängerzone von Wismar Unterschriften sammelten, auch Passanten bedrängt haben wie im Text beschrieben oder ganz brav und dezent waren, vermögen wir natürlich nicht zu sagen.

© dpa

Aktivisten auf der Straße: Fass mich nicht an, Gutmensch!

„Entschuldigung, du da, mit dem netten Gesicht, hast du mal gaaanz kurz Zeit, um den Regenwald zu retten?“ Aktivisten, die solche Fragen vorbeieilenden Passanten stellen, müssen ein Nein akzeptieren, ohne zudringlich zu werden.

Mir war nicht danach, Philipp kennenzulernen, doch er ließ mir keine Wahl. Wir begegneten uns in der Friedrichstraße, ein sonniger Septembertag, um uns herum massenhaft Menschen. Kurz vorm Eingang zum S-Bahnhof liefen wir uns über den Weg. Um genau zu sein, lief ich vor ihm davon, als ich ihn zielstrebig auf mich zusteuern sah – und er mir hinterher. „Hallo, ich bin der Philipp vom WWF“, sagt er, „und wie heißt du?“ Weil ich nicht unhöflich sein wollte, antwortete ich mit einem Lächeln, ignorierte seine Frage jedoch. Dem Philipp vom WWF machte das nichts aus. Auch die Tatsache, dass ich es eilig hatte und nicht zu Konversation aufgelegt war, schien ihn nicht zu stören. Dem Tempo meines Stechschritts passte er sich automatisch an und begleitete mich ein Stück Richtung S-Bahn. Während wir nebeneinander herliefen, erzählte er etwas von Tierschutz und Spenden und Unterschriften. Sein Mantra, das er an diesem Tag vermutlich schon hundert Mal aufgesagt hatte, kam nur bruchstückhaft bei mir an. Ich hörte nicht so genau hin, denn ich hatte die S-Bahn zur Arbeit und das pünktliche Erreichen selbiger im Kopf. Darum erteilte ich dem Philipp vom WWF ziemlich uncharmant einen Korb, fuhr ihn mit barscher Stimme an: „Keine Zeit und auch kein Interesse.“ Endlich kapitulierte er und ließ von mir ab.

Es ist nicht so, dass mir aussterbende Braunbären oder bedrohte Kegelrobben egal sind. Dass es Menschen gibt, die sich für deren Rechte engagieren, finde ich löblich und unterstützenswert, ebenso das Anliegen derer, die auf das Leid syrischer Flüchtlinge oder die Fragwürdigkeit des globalen Finanzsystems aufmerksam machen. Im Prinzip würde ich mich sogar dafür gewinnen lassen, wenn die Leute, die sich an windschiefen Ständen in Fußgängerpassagen für ihre Sache ins Zeug legen, ein Mindestmaß an Feingefühl und Höflichkeit besäßen.

Es wird angefasst, geduzt, beleidigt

Nur ein Symbolbild! Ob die Pflegedienstmitarbeiter, die 2012 in der Fußgängerzone von Wismar Unterschriften sammelten, auch Passanten bedrängt haben wie im Text beschrieben oder ganz brav und dezent waren, vermögen wir natürlich nicht zu sagen.
Nur ein Symbolbild! Ob die Pflegedienstmitarbeiter, die 2012 in der Fußgängerzone von Wismar Unterschriften sammelten, auch Passanten bedrängt haben wie im Text beschrieben oder ganz brav und dezent waren, vermögen wir natürlich nicht zu sagen.

© dpa

Leider besitzen sie das in der Realität eigentlich nie. Zumindest denkt man das, weil – Fehler im System – natürlich nur die Penetranten in Erinnerung bleiben. Die Methoden beim Buhlen um Aufmerksamkeit werden immer rabiater, die Hemmungen der modernen Wegelagerer, auf Passanten zuzugehen und für ihr Anliegen zu kämpfen, sinken stetig. Jegliche Absetzbewegungen ihrer Opfer – das Wechseln der Straßenseite oder das Anziehen des Tempos – ignorieren sie. Da wird angefasst, geduzt und auch mal unflätig beleidigt. Wie kontraproduktiv! Der junge Mann von der „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“, der seine sich anbahnende Erfolglosigkeit mit dem Hinweis abzuwenden versuchte, dass auch unterbeschäftigte Nachwuchsschauspielerinnen und gescheiterte Fotomodelle sich gesellschaftlich engagieren könnten, steht hier nun als prominentes Negativbeispiel für seinen ganzen Stand. Grundsätzlich hat der BüSo-Mann natürlich recht, auch wenn er mit den Spekulationen über den Beruf seines Gegenübers falschlag. Was ihm und seinen lästigen Kollegen aber offenbar nicht in den Kopf will: Wo starker Andrang und große Hektik herrschen, ist die Chance auf ein ungestörtes Gespräch mit ernüchternden Fakten und klug dargelegten Argumenten gering. Und somit auch die Chance auf ein neues Mitglied in der Tierschutzorganisation oder Bürgerrechtsbewegung, auf einen neuen Paten beim Kinderhilfswerk. Diese Tatsache zu ignorieren erzeugt auf Dauer Frust – auf beiden Seiten.

Daher ein gut gemeinter Tipp an alle Weltverbesserer mit Menschenfängerambitionen: Bitte stellt Euch nicht wie Wellenbrecher an den Knotenpunkten des Alltags auf. Geht lieber in die etwas ruhigeren Ecken der Stadt; da, wo Leute weniger in Eile, dafür aber womöglich in Stimmung für eine kurze Unterhaltung sind. Wenn Ihr dann mal trotzdem an einen geratet, der nach ersten Annäherungsversuchen seine Kopfhörer nicht abnehmen, sein Handytelefonat partout nicht unterbrechen will, akzeptiert das. Nichtrepräsentativen Umfragen im Freundeskreis zufolge hat ein insistierendes Wortmonster mit missionarischem Eifer noch keinen entnervten Gesprächsflüchtling bekehren können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false