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Berlin: Alarmstufe Grün

Über Geschmack und Gefahr lässt sich streiten: Wie sich Bezirke anstellen, wenn Bürger an der Straße pflanzen

Ein Schnaufen geht durch die Bezirke. Weil die Angelegenheit so schwierig und kompliziert ist. Es geht um privat Gepflanztes im öffentlichen Straßenland. Etwa um die Blumen vor dem Charlottenburger Restaurant „Gusto“, deren Umzäunung weg soll, weil jemand darüber stolpern könnte (wir berichteten). Oder um Efeu, das sich an Häusern in Prenzlauer Berg hochrankt und herabstürzen könnte, weshalb es weg muss. Es geht um ein Thema, bei dem die Bezirke nicht gut aussehen. Dabei wollen sie doch nur Schaden abwenden.

Was es abzuwiegen gilt: Die Bürger haben ein Recht auf begehbare Gehwege. Stolpern sie über private Zäunchen, können sie den Bezirk verklagen. „Bei uns hat sich mal jemand die Strickjacke an einer Rosenhecke, die auf die Straße wucherte, zerrissen“, sagt Gerhard Lawrentz, Baustadtrat in Tempelhof-Schöneberg. Das habe man zahlen müssen. Stürze über Zäune würden womöglich noch teurer. Die armen Bezirke wollen sich sowas nicht leisten.

Auf der anderen Seite: Hunde sind eine Gefahr für Pflanzen. Sie zerkratzen junge Beete oder setzen ihre Haufen rein, weshalb die Bürger gerne Zäune bauen. Und: Eben weil die Bezirke arm sind, freuen sie sich, wenn Anwohner ihre Straßen selbst verschönern. Übermäßig bürokratisch gehe man gegen Blume, Zaun und Co. nicht vor, sagt Lawrentz. Bürger hätten dafür kein Verständnis. Und dass ein Blumenzaun mal Anlass einer Schadenersatzklage gewesen wäre, ist ihm nicht erinnerlich. Auch in Mitte kennt man nichts Derartiges. Trotzdem lehnt man die Bepflanzung der Baumscheiben – so heißt der Fleck Erde, in dem der Baum steht – ab. Die Wurzeln könnten verletzt werden, die BSR würde in den Beeten nicht fegen, im Dunklen entstünde Gefahr, heißt es im Grünflächenamt.

In Pankow gilt das Grün, das in den Himmel wächst, dem Amt als gefährlich: Efeu oder Knöterich, Ungetümer, die häuserhoch wachsen und aus denen Äste auf Bürgerköpfe fallen könnten. Bezirksstadtrat Martin Federlein hat die Hausbesitzer aufgefordert, die Gewächse abzuholzen oder eine Genehmigung zu beantragen. Die Grünen lästern: Man bekämpfe da mit großem Aufwand einen „vermeintlichen Missstand“. Federlein wehrt sich: Die Bürger sollten erst mit dem Amt reden, bevor sie sich am Straßenland zu schaffen machen.

In Neukölln ist man lockerer. Wenn Privatleute Blumen pflanzen, bekommen sie ein Schild ins Beet gesteckt: „Neukölln blüh’ auf“ steht da und „Danke!“. Bei Zäunen hört aber auch dort der Spaß auf: Da drohe Gefahr, das könne man nicht genehmigen, heißt es im Bauamt.

Es ist ja auch nicht so, dass jeder Bürger begeistert ist von den Verschönerungsanstrengungen seines Nachbarn. Wenn der eine Stiefmütterchen vors Haus pflanzt, geißelt der nächste das als Laubenpieperei. Die anonyme Großstadt sei in Gefahr, wenn jeder seinen Privatkrempel auf der Straße erledige, klagt ein Anwohner des Lausitzer Platzes in Kreuzberg, dem einzigen Bezirk, in dem über private Beete nicht geschnauft, sondern geradezu gejubelt wird.

Dort werden sie gefördert, Baumpatenschaften nennt sich das. Straßenweise werden Baumscheiben bepflanzt, jede Menge Zäune stehen überall, auf denen man sogar sitzen kann. Zäune, auch private, seien „ein Muss“, sagt Baustadtrat Franz Schulz. Wegen der Hunde. „Es bringt doch nichts, eine Pflanze in die Erde zu setzen, und dann ist die nach einer Woche wieder rausgerissen.“ Die Ansichten seiner Amtskollegen findet Schulz erstaunlich, mögliche Schadensfälle durch zerkratzte Autotüren beim unbedachten Aufstoßen oder Stürze hält er für unwahrscheinlich. Nicht mal Blinden würde das passieren, schließlich seien Berliner Gehwege in drei Zonen geteilt: Kopfsteinpflaster an der Hauswand (der Oberstreifen), dann Granitplatten, dann wieder Kopfsteinpflaster bis zur Straße (der Unterstreifen). Die Bäume stünden immer im Unterstreifen, sagt Schulz, „da geht doch sowieso niemand.“

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