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Berlin: Alexander Bidder, geb. 1941

Die Geschichte von Alexander Bidder ist auch eine Geschichte von seinem Vater, Hans Bidder. Und sie ist eine Geschichte vom Reisen, von dem der Dichter Jean Paul sagt, dass auschließlich darin das wahre Leben liegt, so wie umgekehrt auch das Leben so etwas wie eine Reise ist.

Die Geschichte von Alexander Bidder ist auch eine Geschichte von seinem Vater, Hans Bidder. Und sie ist eine Geschichte vom Reisen, von dem der Dichter Jean Paul sagt, dass auschließlich darin das wahre Leben liegt, so wie umgekehrt auch das Leben so etwas wie eine Reise ist.

Die Wohnung von Alexander Bidder. Eine Schatztruhe von Reisesouvenirs, die Vater Hans in der ganzen Welt gesammelt hat: Ein russischer Samovar, ein alter chinesischer Handspiegel, ein Kaminsims voller Opiumpfeifen und: Teppiche. In Nepal, Turkistan und der Wüste Gobi jagte Hans Bidder manchmal jahrelang nach einem besonderen Stück. Eine Leidenschaft, die alles andere als zufällig war. Die kleinen Teppiche, die heute in der Wohnung an den Wänden hängen, dienten einst Reisenden, wallfahrenden Lamapriestern und mandschurischen Hirten. Die zwei chinesischen Reiseschränke im Esszimmer, das am Gürtel zu tragende mongolische Essbesteck, überhaupt sein Sinn für alles Portable: Kein Zweifel, in Hans Bidders Adern floß Nomadenblut. Als Diplomat vertrat er Deutschland in China, Äthiopien und Thailand. Seine Heimat fehlte ihm nicht. Sein Leben war tatsächlich das Reisen, sein Zuhause die ganze Welt.

Als Alexander Bidder neunzehn Jahre alt war und gerade sein Abitur am Arndt-Gymnasium in Berlin gemacht hatte, wollte er vor allem eins: irgendwo ein Zuhause finden. Seine ersten Lebensjahre hatte er zum großen Teil in Zügen und auf Schiffen verbracht. Vater Hans war Gesandschaftsrat in Peking, als Alexander in Berlin zur Welt kam und seine Mutter beschloss, ihrem Mann nach China zu folgen. Sie machte sich 1941 mit ihrem Sohn auf den Weg. Die Reise nach Peking war wegen des Krieges nur über das neutrale Portugal und seine Kolonien möglich. Sie dauerte fünf Jahre. Allein zwei davon mussten Alexander und seine Mutter im späteren Hippie-Paradies Goa auf die Weiterreise warten. Dort gab es zwar Palmen, ein Haus mit Angestellten und ein indisches Kindermädchen, das Nana hieß. Trotzdem waren die Bidders im Prinzip Gefangene, Internierte. Seine Mutter malte ihrem Sohn für die langen Tage des Wartens ein eigenes Kinderbuch mit ausgedachten Versen und Liedern. Er hat es sein ganzes Leben lang aufbewahrt. Genauso wie ein gezeichnetes Porträt von Nana, das heute noch im Esszimmer der Bidderschen Wohnung hängt.

Nach einigen Jahren auf einer französischen Mädchenschule in Peking besuchte Alexander in Deutschland verschiedene Internate. Um seine Eltern zu sehen, musste er zu ihnen reisen, in den Ferien. Einmal blieb er just zu Weihnachten allein auf dem Kairoer Flughafen hängen. In solchen Situationen mag er das gelernt haben, was ihm immer wieder geholfen hat: mit einem entwaffnenden Lächeln und den richtigen Worten, egal wo er war, aus Fremden schnell Freunde zu machen.

Vater Hans Bidder wünschte sich, dass auch sein Sohn in den diplomatischen Dienst eintreten würde. Doch Alexander schlug lieber Wurzeln in Berlin. Der Kompromiss war ein Jurastudium. Sein Auslandsjahr verbrachte Alexander in Lyon. Als dort die Universität bestreikt wurde, zog er auf ein Weingut. Dort entdeckte er seinen Sinn für die feine Küche.

Und die große, weite Welt? Er liebte sie auch, wie sein Vater. Und doch hatte er als Kind zu sehr unter den ständigen Entwurzelungen des Diplomatenlebens gelitten. Reisen also ja, aber mit ständigem Rückkehrrecht in seine Heimatstadt Berlin. Nach einer Redakteurstätigkeit beim Tagesspiegel wechselte Alexander Bidder zum Verkehrsamt der Stadt Berlin und fand dort seinen Traumjob: Referent für Skandinavien, Großbritannien und die USA. Zu seinen Aufgaben gehörte es, auf Tourismusmessen auf der ganzen Welt für seine Stadt und sein Land zu werben oder mit dem Berlinbus durch die USA zu reisen.

Doch am besten gefiel es ihm, nach Berlin zurückzukommen und die Menschen, die er auf seinen Reisen kennen gelernt hatte, in seine Wohnung einzuladen. Seine Frau erinnert sich an Zeiten, als sie fast jeden Monat ein großes Essen für 20 Personen und mehr gaben. Immer stand Alexander, den seine Freunde "Sascha" nannten, in der Küche und versuchte sich kenntnisreich an Rezepten aus der weiten Welt.

Sie erinnert sich auch an das Jahr 1989, als Alexander viele seiner Freunde nach Berlin einlud, um mit einem riesigen Fest den Fall der Mauer zu feiern. Und ein Foto zeigt seinen letzten Geburtstag: ein sommerliches Krebsessen im Sonnenuntergang, ein lachender Alexander - wie immer mit Fliege und im Kreis von Freunden. Unter den Gästen ist auch ein eigentümlich verschlossen wirkender Mensch: der Fischer vom Stienitzsee. Von ihm bezog Alexander Bidder die Krebse, die er besonders gerne in der Küche verarbeitete. Bei einem jener Krebsessen vergaß Bidder, einen der Krebsbeutel zu verarbeiten. In der Nacht befreiten sich die Tiere mit ihren Scheren und wanderten durch die Wohnung. Einige erschienen am Morgen auch im Bett von Herrn und Frau Bidder.

Die Privatisierung des Verkehrsamtes Anfang der neunziger Jahre bedeutete für Alexander Bidder noch einmal einen beruflichen Wechsel, der ihm diesmal nicht leicht fiel: Er, dessen Element es gewesen war, Menschen aus der ganzen Welt nach Berlin einzuladen, musste jetzt als Jurist in der Ausländerbehörde dabei mithelfen, Flüchtlinge aus dem Land hinaus zu klagen.

Für die Zeit nach dem Beruf hatte er sich noch viel vorgenommen. Er wollte aufschreiben, was er in seinem Leben sehen und erleben konnte. Geschichten über sein Kindermädchen Nana in Goa, den Fischer vom Stienitzsee und vielleicht auch ein eigenes Kochbuch. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Am Morgen des 2. Juli 2000 stand Alexander Bidder vom Küchentisch auf, um die Zeitung zu holen. In der Diele fiel er um und starb an einem Herzschlag.

kiw

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