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Berlin: Alf Böhmert (Geb. 1949)

Das „Berliner Zimmer“ als Programm

Damals gab es noch Zukunft. Als West-Berlin die Insel der Träumer war. Und Alf an vorderster Front. Viele Locken, viel Temperament und immer die lauteste Stimme: „Habtasowatschonmaljehörthabtanichwa!“ und „Isditnichdoll???“ Gemeint war Bob Dylan, dem er in der Kunst, die Töne zu verfehlen, in nichts nachstand. Wann immer es ging, hat Alf seine Stimme erhoben. Als Schüler, als Student, als Wortführer der „Terrorgruppe Neuruppin“, martialische Rhetorik, humanistisches Programm – was die projektile Verwendung von Eiern nicht ausschloss.

Ostermarsch 1966, ein Freund erinnert sich: „Plötzlich stieg neben mir mit einem kräftigen Sprung eine Gestalt auf, hielt in der Luft praktisch inne, um einen kräftigen Wurf abzuschießen, um schließlich neben mir im Sichtschatten der Menge wieder Deckung zu suchen. Das Farbei hinterließ ein prächtiges Bild auf der Uniform eines verdutzt dreinblickenden Polizeibeamten, der fassungslos in seiner Position verharrte. Eine Gruppe kräftiger, untersetzter Facharbeiter in Festtagskleidung bekam Alf am Schlafittchen und machte sich daran, ihn sich ordentlich vorzuknöpfen. Die versammelten Studenten bildeten daraufhin artig einen großen Kreis um dies Geschehen und gaben mit einem kollektiven ,Buuhh!’ ihrem Missfallen Ausdruck.“

Er kam noch mal davon. Und blieb weiter mittendrin. Republikanischer Club, Schulungen zum besseren Verständnis des Marxismus-Leninismus, Vollversammlungen des SDS, Vietnamproteste, Sit-ins – und danach Abhotten zwecks Regeneration der revolutionären Schaffenskraft.

1977 fuhr er durch die Sowjetunion und ins maoistische China. Acht Tage in der Transsibirischen Eisenbahn Berlin– Peking und zurück wieder acht Tage.

Genug Zeit darüber nachzudenken, warum sozialistische Revolutionen stets im Staatsdespotismus enden.

Im Bahnhof von Manzhouli, dem Eingang zu China, hatte er beim offiziellen Empfang den verblüfften Chinesen „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ vorgeschmettert; beim abschließenden Pekingenten-Essen musste er zur Strafe am „Katzentisch der Verfemten“ sitzen. Selbstdenker unerwünscht.

Das Projekt Alf war fortan ein individuelles: Schulung der allgemeinen Lebenskompetenzen- und fertigkeiten. Und das in allen künstlerischen Belangen – was gewisse Eitelkeiten das eigene Erscheinungsbild betreffend durchaus einschloss.

Das „Berliner Zimmer“ als Programm, ein Raum, der Vorderhaus und Seitenflügel verbindet; Menschen und Meinungen zusammenführt. Aber so rührig er auch war als Kuppler der Ideen, er hat nie eine Sponsorenmark für seine Film- und Kunstprojekte bekommen, und so musste er viele davon vorzeitig zu Grabe tragen. Auch das ihm wichtigste, die Verfilmung von Pessoas „Anarchistischem Bankier“ – ein utopisches Vorhaben in diesen Zeiten des Renditenfetischismus. „Ich habe Freiheit geschaffen“, sagt der anarchistische Bankier, „ich habe jemanden befreit. Mich habe ich befreit.“

Das konnte Alf zu Recht von sich sagen, allerdings nur weil er verdammt viel Glück im Leben hatte. Mit seiner Mutter, die ihm in den sozialistischen Ferienlagern stets wehrhaft mit einem Riesen-Holzkochlöffel zur Seite stand; mit seinem Vater, der ihn in allen Spielarten des proletarischen wie bürgerlichen Tanzes unterrichtete und bis ins hohe Alter auf die Demos begleitete. Mit seiner Frau, die ihn, den Seiltänzer der Träume, immer davor bewahrte, zu hart aufzuschlagen. Und mit seinen Töchtern, dank derer er noch ein Leben vor sich wusste in anderer Gestalt. So konnte er stets die Unrast leben, die der Magier der Unruhe Pessoa beschwor: „Ich bin derjenige, der immer gehen will, und immer bleibt, immer bleibt, immer bleibt.“ Gregor Eisenhauer

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