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Berlin: Alle wollen nur das Eine

Krise? Welche Krise? Seit Monaten werfen die Deutschen sorgenvolle Blicke auf triste Konjunkturdaten und in den immer dünneren Geldbeutel. Dann läuft der Vorverkauf für die Rolling Stones an – und Zehntausende können ihr knappes Geld gar nicht schnell genug loswerden.

Um fünf nach neun kann Regine Hintze aufatmen. An der Theaterkasse im KaDeWe zückt sie ihr Handy. „Herr Liebscher, ich hab’ sie, ich hab’sie“, ruft sie ins Telefon. Herr Liebscher ist Frau Hintzes Kollege und seit diesem Samstagmorgen zufriedener Besitzer von Karten für das Rolling-Stones-Konzert am 15. Juni im Olympiastadion. 290 Euro für die drei Stehplätze hat er seine Kollegin aus der Bundestagsverwaltung dafür hinblättern lassen. Er selbst steht zur selben Zeit an einer Theaterkasse in Reinickendorf und kauft noch einmal drei Karten. „Er wollte auf Nummer sicher gehen, und so haben wir uns beide an verschiedene Kassen gestellt“, sagt Frau Hintze und bahnt sich ihren Weg vorbei an den rund 35 wartenden Frühaufstehern, die nur eins wollen: Tickets für die „Licks-Tour“ der Stones.

Seit 40 Jahren ziehen die Rolling Stones, die zusammen über 200 Jahre alt sind und als größte Rockband aller Zeiten gelten, die Fans wie Magneten an. Mick Jagger, mit der Figur eines Eiskunstläufers, schafft es immer noch mühelos, im Dauerlauf von einem Bühnenrand zum anderen zu hetzen, und das wollen die Leute sehen. 58 000 Karten bietet der Konzertveranstalter, die Deutsche Entertainment AG (DEAG), an. Seit gestern um neun Uhr ist der Zugang zum „Computer Ticket Service“ (CTS), über den die Karten verkauft werden, freigeschaltet. Die preisgünstigeren Stehplätze zu 90 Euro inklusive Vorverkaufsgebühr sind binnen Minuten ausverkauft.

Die Mitarbeiter der Showtime-Kasse im KaDeWe können daraufhin nur noch auf den Sitzplan des Olympiastadions verweisen, auf dem die verschiedenen Preiskategorien bunt markiert sind: 113, 107,30 und 101,50 Euro kosten die Sitzplatz-Karten für die Blöcke. René Manu ist es im Grunde fast egal, wie teuer die Tickets sind. Als „echter Stones-Fan“ muss er einfach dabei sein. 42 Jahre ist er alt, mit 13 hat er seine Liebe für die Rock-Barden entdeckt. „Alles fing mit einem Best-of-Album an, die alten Sachen eben“, erzählt er. Um die 50 Alben stapeln sich mittlerweile bei ihm zu Hause, „die CDs habe ich nachgekauft“.

Drei Karten zu 107,30 Euro ersteht René Manu. „Eine für mich, eine für eine Freundin.“ Und die dritte? Die hofft er im Juni seinem Schatzi schenken zu können: „Wenn ich bis dahin eine neue Beziehung habe.“ Selbst wenn’s damit nicht klappt - sitzen bleiben wird er auf der Karte sicher nicht. Obwohl: Beim letzten Konzert, im August 1998 zur „Bridges to Babylon“-Tournee, hatten sich die Schwarzhändler verkalkuliert: Sie mussten die offiziell mindestens 100 Mark teuren Tickets für 60 Mark abgeben.

Wie René Manu war auch Carsten Jesz, 36, beim 98er Konzert dabei. „Keith Richards ist unschlagbar“, schwärmt er noch immer. Der Gitarrist der Band ist auch der Hauptgrund, weswegen Jesz tief in die Tasche greift und zwei Karten, für sich und seine Frau, kauft. Die beiden Männer sind sich einig: Es könnte ja diesmal wirklich das letzte Mal sein, dass die vier älteren Herren auf der Bühne stehen… Und das wollen sie sich nicht entgehen lassen.

An der Theaterkasse Wildbach in der Rankestraße sind um kurz nach zehn keine Tickets mehr zu haben. „Ich hatte 250 Vorbestellungen, die habe ich seit neun Uhr ausgedruckt. Jetzt ist alles weg“, sagt die Inhaberin. So richtig versteht sie das nicht: „Das ganze Jahr über halten die Leute ihr Geld zusammen und überlegen sich zweimal, was sie kaufen. Kaum kommen die Stones, geben sie Hunderte Euro aus.“

An der Theaterkasse bei Wertheim schlängeln sich die Leute seit 9 Uhr bis in die Schreibwarenabteilung. Gegen 11 Uhr sind nur deshalb noch einige Karten übrig, „weil wir vorher so viele ausgedruckt haben“, sagt eine Verkäufern. Armin Friedrich ist froh, dass er noch zwei der Restkarten ergattert. „Ich hab’s morgens übers Telefon versucht, ständig belegt. Da bin ich schnell hergefahren.“ Eine Mitarbeiterin bei CTS bestätigt: „Das Kontingent ist ausverkauft. Karten gibt es nur noch an einzelnen Theaterkassen, die genügend gebunkert haben.“ Eine ältere Dame ordert ohne viel Aufregung ein Ticket. Die Stones? „Nee, Musikantenstadl“, sagt sie.

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