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Für die Kinder ist es besonders hart. Ein Flüchtlingskind aus Syrien schläft hier auf dem Boden in einem Zelt auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin. Unbegleitete Minderjährige kommen aber noch nicht mal mit Eltern an, die ihnen eine Decke ausbreiten.

© Paul Zinken/dpa

Allein auf der Flucht: 2200 unbegleitete Minderjährige in Berlin

Dieses Jahr kamen schon 2200 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin an – so viele wie nie. Sie sind mangels Platz auch in Hostels und Jugendherbergen untergebracht.

Es sind Mädchen, die sich auf dem Alexanderplatz ducken, wenn da ein ADAC-Rettungshubschrauber fliegt, weil sie denken, er wirft Bomben ab. Jungen, die nachts schreiend hochschrecken angesichts dessen, was sie Schreckliches erlebt haben. In Berlin kommen noch mehr auf sich allein gestellte flüchtende Kinder und Jugendliche an als bislang prognostiziert. So wurde im September mit 691 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen eine neue Rekordzahl registriert – das sind fast genauso viele Zugänge wie im gesamten Jahr 2012. Dieses Jahr sind es schon 2200 Neuankünfte.

Mindestens 3700 Kinder und Jugendliche erwartet

Hatten die Experten der Jugendhilfe noch vor wenigen Wochen mit 3000 nicht volljährigen Flüchtlingen gerechnet, die Berlin 2015 auf eigene Faust erreichen, so geht der Senat nunmehr von „mindestens 3700“ aus. Laut Ilja Koschembar, dem Sprecher der Jugendverwaltung, wird die Vorjahresanzahl (2014: 1085 minderjährige Unbegleitete) jetzt voraussichtlich „um 240 Prozent übertroffen“. So viele Schutzbedürftige überstiegen die bestehenden regulären Kapazitäten für Erstaufnahme und Clearingverfahren mit aktuell 141 Plätzen enorm. Derzeit kommen die Fachleute der Berliner Erstaufnahme- und Clearingstelle (EAC) auch kaum mit den Erstgesprächen nach, sodass der Schulbesuch der Flüchtlinge teilweise erst nach ein paar Wochen oder Monaten Wartezeit organisiert werden könne. Es soll in der Senatsverwaltung jetzt Personalaufstockungen geben, die Jugendlichen sollen früher Deutschunterricht erhalten. Besonders der Bezirk Steglitz-Zehlendorf mit der Erstaufnahmestelle ist besonders gefordert.

Sozialarbeiter helfen ambulant im Hotel

Die Senatsverwaltung schöpft alle möglichen Unterbringungen aus, um zu vermeiden, dass die besonders Schutzbedürftigen womöglich obdachlos werden. Zunächst sind das Unterkünfte in Kooperation mit anerkannten Trägern der Jugendhilfe, diese betreiben derzeit vier temporäre Einrichtungen mit bis zu 59 Plätzen. Weitere fünf Objekte würden geprüft und vorbereitet. Weniger erstrebenswert, aber nicht zu vermeiden sei, dass etliche Jugendliche in derzeit 14 unterschiedlichen Beherbergungsbetrieben untergebracht seien – also in Hostels, Hotels, Jugendherbergen und -gästehäusern. Einerseits haben die jungen Leute da auch Kontakt zu Gleichaltrigen. Aber die Sozialarbeiter können die oft stark traumatisierten und sich mutterseelenallein fühlenden Flüchtlinge nur während ambulanter Besuche im Schichtbetrieb betreuen. Daher bemüht sich der Senat, zumindest die Mädchen, junge Schwangere unter 18 oder auch minderjährige Mütter mit ihrem Baby direkt in der Berliner Erstaufnahme- und Clearingstelle (EAC) unterzubringen. Deren Adresse soll zum Schutz nicht öffentlich genannt werden.

Fünf Prozent der Alleinreisenden sind Mädchen

Mädchen machen nur etwa fünf Prozent der jungen Flüchtlinge aus. Sollten Mädchen in Einrichtungen gemeinsam mit Jungen wohnen, so solle darauf geachtet werden, diese möglichst in einem Extrazimmer unterzubringen. Weibliches Personal solle sie intensiv betreuen, um sie vor möglichen Übergriffen zu schützen. Allgemein ist der Trend laut Ilja Koschembar, dass immer jüngere Flüchtlinge allein anreisen. Zuletzt kamen vor allem 16-, 17-jährige junge Männer. Jetzt sind es aber oft Jüngere, für die die Eltern alles Geld zusammenlegten. Oder die sie Bekannten oder Verwandten für die tausende Kilometer lange Flucht übers Meer und durch unbekannte Länder anvertrauen, damit der Nachwuchs in Europa eine bessere Zukunft haben solle. Weil der juristische Prozess eines Familiennachzugs sich jeweils auf ein paar Jahre erstrecke und bei Volljährigkeit endet, sei es bislang eher nicht die Regel, dass Kinder für Familiennachzüge vorgeschickt würden.

Die meisten der alleinreisenden jungen Menschen, die während der Flucht abhängig auch von fremden Erwachsenen sind, stammen aus Syrien (38 Prozent). 14 Prozent reisten aus Afghanistan an. Zudem kommen Palästinenser aus Syrien oder Libanon (16 Prozent) und aus Albanien (fünf Prozent). Ebenfalls fünf Prozent sind Kinder und Jugendliche aus westafrikanischen Staaten, hinzu kommen auf sich gestellte junge Vietnamesen (drei Prozent). Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf, der in Berlin federführend für die Vormundschaften für nicht volljährige Flüchtlinge ist, bekam laut Koschembar jetzt fünf zusätzliche Stellen. Zudem sei das Ausbildungs- und Betreuungsprojekt für Ehrenamtliche „Akinda“, die Vormund werden wollen und über dessen Nöte der Tagesspiegel berichtete, jetzt gerettet und bekomme Geld je zur Hälfte vom Senat und aus dem EU-Migrationsfonds.

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