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Berlin: Allein in Paaren

In dem Dörfchen bei Spandau sollte zur WM ein großes Fancamp entstehen – die Bürger waren dagegen. Während anderswo fröhlich gefeiert wird, haben sie nun, was sie wollten: ihre Ruhe

Von Sandra Dassler

Paaren im Glien - „Es hätte alles anders sein können“, sagt Karten Stieglitz. Der 38-Jährige steht am Tresen der Gaststätte „Märkischer Landmann“ und langweilt sich. Eigentlich ist er Küchenchef, aber Gäste sind weit und breit nicht in Sicht. Mit Stieglitz warten 80 Plastikstühle einsam in der Nachmittagssonne. Gähnende Leere herrscht auf dem umliegenden 22 Hektar großen Gelände des Märkischen Ausstellungs- und Freizeitzentrums (MAFZ), wo sonst Landwirtschaftsausstellungen, Campingmessen und andere Großveranstaltungen stattfinden. Gegenüber traben ein paar Pferde über Koppeln. Verlassen liegen die Straßen, die vom MAFZ in das – wie ein Schild verkündet – „schönste Dorf im Havelland“ führen: Paaren im Glien, ein Ortsteil von Schönwalde, vor den Toren Spandaus, wirkt wie ausgestorben. Selbst im Jugendklub, wo auf einer Leinwand die WM-Spiele übertragen werden, sitzen nur drei junge Männer.

Dabei hätte tatsächlich alles anders sein können in diesen Tagen in Paaren im Glien: die Straßen mit bunt bemalten und fröhlichen Menschen bevölkert; der Jugendklub ein Treff für junge Leute aus der ganzen Welt; der „Märkische Landmann“ gut gefüllt; das MAFZ-Gelände eine große Zeltstadt mit Fressmeile, Biergarten und Bus-Shuttles zu den WM-Spielen nach Berlin, Hamburg und Leipzig.

So sah es jedenfalls das Konzept von Ulrich Krämer vor. Der fußballverrückte Computerfachmann aus Rheinland-Pfalz hat seinen Job aufgegeben, um das „Fanprojekt 2006“ zu verwirklichen: An drei Standorten in Deutschland wollte er riesige Zeltstädte errichten – vor allem für ausländische WM-Touristen. Der Fantreff Nord sollte in Paaren sein. Im letzten Herbst hat Krämer die ersten Anträge zur Nutzung des MAFZ-Geländes gestellt, Kontakt mit der Gemeinde aufgenommen, die Einwohner informiert und Bedarf bei der Arbeitsagentur angemeldet.

Nicht zuletzt wegen der – wenn auch nur zeitweiligen – Jobs haben viele in der Region von der WM-Stadt geträumt. Für andere war sie dagegen ein Albtraum. „Man wusste ja nicht, was da für Fans kommen: friedliche oder gewaltbereite“, sagt Hartmut Kurschat, Mitinitiator einer Bürgerinitiative, die sich, wie er heute betont, nicht gegen die Zeltstadt richtete. „Wir wollten nur wissen, wer unsere Sicherheit garantiert“, sagt der evangelische Pfarrer im Ruhestand: „Diese Frage hat uns keiner beantwortet.“

Die Bürgerinitiative hat Unterschriften gesammelt. 82 Prozent der mehr als 600 Paarener haben sich gegen das WM-Projekt entschieden, wohl auch deshalb gab der Landkreis kein grünes Licht. Offiziell war von nicht rechtzeitig eingereichten Anträgen die Rede. „Das wäre aber alles mit etwas gutem Willen aus der Welt zu schaffen gewesen“, meint Bürgermeister Bodo Oehme (CDU). Eine Verliererin des geplatzten Projekts ist Monika Müller, die Pächterin vom „Märkischen Landmann“. Sie hat für die Zeit der WM keine anderen Veranstaltungen angenommen, nun fehlen die Einnahmen. „Und meine Stammkunden aus Spandau bleiben aus, weil viele nicht mitbekommen haben, dass es die Zeltstadt nun gar nicht gibt,“, sagt sie, leicht resigniert.

Die erfahrene Geschäftsfrau hat zwar nie mit den von Ulrich Krämer versprochenen 4000 Fans pro Tag gerechnet, aber „1000 hätten auch gereicht“, sagt sie. „Selbst 500 wären besser gewesen als der Totentanz, der jetzt hier ist“, pflichtet ihr Küchenchef Stieglitz bei. Auch Bürgermeister Oehme ist überzeugt: „Wirtschaftlich gesehen wäre in jedem Fall etwas für die Region herausgesprungen. Hotels, Pensionen, Gaststätten, Kaufmannsläden, Discounter und Tankstellen hätten davon profitiert.“

Im Lebensmittelladen von Paaren, den hier fast alle noch „Konsum“ nennen, wiegt die Verkäuferin jedes ihrer Worte ab. Sie könne die Ängste der Einwohner verstehen, aber es erscheine ihr abwegig, dass die Fußballfans ins Dorf gekommen wären, um zu randalieren. „Man sieht doch, wie die überall friedlich feiern“, sagt sie: „So eine Begeisterung hätte uns auch mal gut getan. Und mehr Umsatz hätten wir vielleicht auch gemacht.“

Die drei Männer im Jugendklub nebenan sehen das anders. „Ich wohne direkt gegenüber vom MAFZ“, sagt einer von ihnen, der seinen Namen nicht nennen will: „33 Tage lang Krawall ist zu viel. Ich muss morgens um sieben auf Arbeit.“ Der 23-jährige Mario Müller stimmt ihm zu: „Wer hätte uns den Schaden ersetzt, wenn die unsere Autos demoliert hätten?“ Auch der 33-jährige Mario Golze hat Angst um sein Firmenauto, ist aber auch ein wenig traurig über das gescheiterte Projekt. „Irgendwie hat man sich von der Angst anstecken lassen“, sagt er. Einig sind sich alle darüber, dass „der Krämer das Projekt hier falsch angegangen ist.“

Ulrich Krämer hat nach der Enttäuschung in Paaren seinen Fantreff-Nord nach Leipzig verlegt. Auf dem Gelände des FC Lok Leipzig tummeln sich zwar momentan nicht die erwarteten 4000 Fans, aber Steffen Kubald, der Vorsitzende von Lok, ist dennoch zufrieden: „So viele ausländische Gäste und alles läuft friedlich – das ist ein großer Imagegewinn für uns.“

Den hätte Paaren auch haben können, meint Bürgermeister Bodo Oehme. „Stattdessen stehen wir nun da wie die Deppen der Nation“. „Das ist uns doch piepegal“, sagen die drei jungen Männer im Jugendklub trotzig. „So sind die Menschen hier nun einmal“, meint ihr Bürgermeister. „Selbst wenn sie ihre Entscheidung bereuen würden – zugeben wird das im schönsten Dorf des Havellands keiner.“

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