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Berlin: Aller Ehren wert

Marlene Dietrich wurde posthum gewürdigt, Ernst Reuter nicht. Bersarin kam sogar zwei Mal auf die Liste

Dem Oberkonsistorialrat und Propst zu Berlin, Conrad Gottlieb Ribbeck, wurden am 6. Juli 1813 alle Ehrenrechte eines Bürgers zugesprochen, obwohl er nach der damals neuen Städteordnung keinen Anspruch darauf hatte. So wurde der Sohn eines Predigers aus Hinterpommern, der sich während der französischen Besetzung Berlins 1806 darum bemühte, die Nöte der Bevölkerung zu lindern, der erste Ehrenbürger der Stadt.

Das war, genau genommen, eine inoffizielle Ehrung. Denn erst 1831 wurden die Berliner Behörden per Verordnung ermächtigt, Personen, „die sich um Staat und Stadt wohlverdient“ gemacht hatten, auszuzeichnen. Lange Zeit blieb dies den Männern vorbehalten. Ehrenbürgerinnen waren erst ab 1919 erlaubt. Trotzdem dauerte es bis 1957, dass mit der früheren Oberbürgermeisterin Louise Schroeder die erste Frau geehrt wurde. Als „Vorbild mütterlicher Pflichterfüllung“ habe sie die Interessen der Berliner „mit warmem Herzen“ vertreten.

Der Historiker und ehemalige CDU-Landeschef Christoph Stölzl hat es mal so ausgedrückt: Das Ehrenbürgerrecht sei ein wenig altmodisch, es habe etwas „von Bürgerkrone, Silberpokal und Fontane“. Da hat er wohl recht. In der Regel krönt diese höchste Auszeichnung der Stadt ein Lebenswerk, das breite öffentliche Anerkennung gefunden hat und in dem sich ein vorbildliches Bekenntnis zu Berlin ausdrückt. Schöne Beispiele dafür aus jüngerer Zeit sind die Ehrung von Heinz Berggruen, Dietrich Fischer-Dieskau, Hans-Dietrich Genscher und Michail Gorbatschow.

Die Ehrenbürgerschaft wird also niemandem hinterhergeworfen, was sich schon darin zeigt, dass die Liste der ausgezeichneten Bürger seit 1813 nur 114 Namen umfasst. Es können künstlerische, wissenschaftliche oder politische Verdienste sein, die gewürdigt werden. Aber auch ein mutiges Handeln in schwierigen Zeiten; etwa während des Kalten Krieges oder der Wiedervereinigung. In diesen Fällen ist die Ehrung nicht nur ein Zeichen der Hochachtung, sondern auch des Dankes. Es gibt bis heute nur eine Personengruppe, die die Ehrenbürgerwürde „qua Amt“ erhält: Das sind die Bundespräsidenten.

Die Verleihung des Ehrenbürgerrechts ist übrigens ein Regierungsakt, auch wenn es im Einvernehmen mit dem Abgeordnetenhaus geschieht. Geltende Rechtsgrundlage sind seit 1953 Senats-Richtlinien, die schon Ernst Reuter durch ein Landesgesetz ersetzen wollte. Aber es blieb beim Provisorium. „Ehrenbürger kann jede Person, In- oder Ausländer werden, die sich um Berlin in hervorragender Weise verdient gemacht hat.“ Alles Weitere bleibt der Fantasie und Findigkeit jener überlassen, die nach Kandidaten suchen.

Das heißt, es gibt noch zwei ungeschriebene Regeln. Die Ehrung soll nicht posthum verliehen werden. Und möglichst nicht im Streit, sondern in diskreter Vorbereitung sollen Senat und Parlament einträchtig Kandidaten finden, deren Auszeichnung im politischen und öffentlichen Raum eine breite Zustimmung findet. Doch nach dem Mauerfall lockerten sich die Sitten. 1991 debattierte das Abgeordnetenhaus über die Frage, ob der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl Ehrenbürger Berlins werden soll. Grüne und PDS waren dagegen. Im Juli 2000 forderte das Parlament nach erbitterter, monatelang geführter Diskussion den Senat auf, den ersten sowjetischen Stadtkommandanten Nikolai Bersarin wieder in die Ehrenbürgerliste aufzunehmen, nachdem ihm die Ehrung nach der Wende zunächst aberkannt worden war.

Auch die Auszeichnung Marlene Dietrichs auf Antrag der CDU bot 2002 genügend Diskussionsstoff, vor allem weil die Künstlerin zehn Jahre nach ihrem Tod geehrt werden sollte. Am Ende gab das Argument den Ausschlag, dass eine Ehrung der legendären Schauspielerin schon zu ihren Lebzeiten in Erwägung gezogen worden war. Ein Jahr später brachte wiederum die CDU den berühmten Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter für eine posthume Ehrung ins Spiel. Aber die SPD zog in diesem Fall die Notbremse: Die Ehrenbürgerschaft müsse eine Auszeichnung für lebende Personen bleiben und aus dem parteipolitischen Streit unbedingt herausgehalten werden. za

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