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Verspielt. Kinderreichtum gehört zum Image des Stadtteils wie Milchkaffee und die Boutiquen auf der Kastanienallee. Ebenfalls typisch: die ständige Sorge der Bewohner. Foto: Imago

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Berlin: Alles bleibt anders

Auf Tagesspiegel.de startet jetzt eine Sonderseite über Prenzlauer Berg. Warum dieser Stadtteil so bedeutend ist. Und so ängstlich

Zwei Schlagzeilen schrecken innerhalb eines Monats auf: In der Straßburger Straße sollen zwölf Pappeln weg, das Grünflächenamt will sie fällen lassen, damit der Bürgersteig endlich umgestaltet werden kann. Am ersten Tag können die Arbeiter ihre Kettensägen nicht anwerfen, weil sich Anwohner schützend vor die Bäume stellen. Weiter nördlich am Kollwitzplatz sind die Gastronomen entsetzt. Nach Lärmmessungen des Wirtschaftsamtes drohen nun frühere Schließzeiten und damit Gewinneinbußen, vielleicht sogar finanzieller Ruin. Die genervten Anwohner freuen sich, aus dem Amt heißt es, die gesetzlich vorgeschriebene Nachtruhe zähle eben mehr als das Vergnügen einiger weniger.

So steht es in der Zeitung, im September 1997. Prenzlauer Berg gibt es immer noch, genug Bäume und Lokale auch. Genau wie die weit verbreitete Sorge, dass es mit diesem Stadtteil jetzt aber wirklich bergab geht, dass Prenzlauer Berg seinen Charakter verliert und damit seinen Reiz.

Verlustängste haben in Prenzlauer Berg Tradition, und dafür gibt es gute Gründe. Erstens haben viele Bewohner ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Zweitens sind sie überdurchschnittlich engagiert. Drittens ist der Stadtteil zwar nicht akut bedroht, ganz sicher aber schützenswert. Über Sorgen und Proteste, über aktuelle Entwicklungen wie historische Zusammenhänge berichten wir regelmäßig in dieser Zeitung – und ab sofort auch gebündelt auf unserer Online-Sonderseite. Weitere Stadtteile werden folgen (siehe Kasten rechts).

Die Menschen in Prenzlauer Berg haben viel Liebe in ihre elf Quadratkilometer gesteckt, vor allem diejenigen, die sich seit der Wende für den Stadtteil entschieden und hier ihre Wohnzimmer-Cafés, Kunstprojekte, Kneipen, Kitas und Fahrradwerkstätten eröffnet haben. Und so alle ungewollt einen winzig kleinen Teil zu dem Schreckgespenst beitrugen, das aktuell am meisten Verlustängste auslöst: das der Luxusaufwertung, der Verteuerung und Verdrängung Sozialschwacher. Stadtgeographen nennen es „Gentrifizierung“, viele Bewohner Katastrophe. Die Proteste gegen edle Neubauprojekte nehmen zwar zu, bleiben aber ganz überwiegend gewaltfrei. Militanz ist hier nur mehrheitsfähig, wenn es gilt, einen Naziaufmarsch zu verhindern.

Außenstehenden fällt es leicht, über Prenzlauer Berg zu lästern. Über die vielen jungen Eltern. Die Milchschaumberge mit Zimt obendrauf. Die tatsächlichen oder vermeintlichen Schwaben. Seit ein „Zeit“-Autor vor vier Jahren den Schmähbegriff „Bionade-Biedermeier“ erfand, können auch diejenigen mitätzen, die eigentlich prädestiniert sind, selbst hier zu wohnen: die Linksliberalen, die Hochschulabsolventen, die Sanddorneis-Esser. Wie angenehm der Stadtteil tatsächlich ist, merkt man wohl am besten daran, dass seine Bewohner selbst gerne über sich lachen, in bissigen Blogs oder kürzlich in einem Theaterstück, inszeniert in der Kulturbrauerei.

Schon in der DDR galt das Viertel als Spielwiese für Künstler, Schriftsteller und Liedermacher, auch die Regimegegner organisierten sich hier. Die Verwaltung ließ zahllose Altbauten aus dem späten 19. Jahrhundert sträflich verkommen, auch das trug zur Milieubildung bei – und erforderte von den Neuankömmlingen nach der Wende Hingabe und Kreativität, genau die Qualitäten, die sich in Prenzlauer Berg heute an so vielen Stellen manifestieren. Bis 2001 war der Stadtteil eigenständiger Bezirk, dann ging er in Pankow auf. Doch eigentlich ist Prenzlauer Berg längst mehr als ein administrativ abgegrenzter Raum. Er ist ein Lebensstil, und der färbt ab, breitet sich aus auf umliegende Kieze. Mauerpark und Kastanienallee werden gefühlt dem Prenzlauer Berg zugeschlagen, obwohl sie teils zu Wedding, teils zu Mitte gehören.

Es gibt keine Gangs in Prenzlauer Berg. Keine Schlägertrupps und kaum noch Kohleöfen. Die Härten des Lebens sind andere: Wenn man in der Kastanienallee sein WLan einstellen will und der Computer zeigt 65 verfügbare Netzwerke an. Wenn man im Park liegt, und Kinder rattern im Bobby-Car übers Kopfsteinpflaster. Wenn einen auf der Schönhauser ein Wuschelkopf mit skandinavischem Akzent anspricht und man nicht weiß, ob das bloß ein Billigflieger-Tourist ist oder doch der Sänger von Mando Diao.

Nein, Prenzlauer Berg wird nicht untergehen, langweilig schon gar nicht. Das Biotop war Vorreiter für Öko-Supermärkte und mehrsprachige Kitas, für Pornosonnenbrillen und Waffelläden, wer weiß, was als nächstes kommt. Auch ihr Engagement werden die Menschen aus Prenzlauer Berg sicher nicht verlieren. Bald soll es wieder Baumfällungen geben.

 Sebastian Leber

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