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Berlin: Alles fließt – und genießt

Wenn der Berliner die Seele baumeln lassen will, aber dabei in der Stadt bleiben muss, zieht es ihn ans Wasser. Immer mehr Wirte entdecken die Flüsse, Seen und Kanäle als perfekte Kulisse für einen entspannten Abend

Ein Mann mit einem Schlauch in der Nase sitzt auf einer Bank vor dem Urbankrankenhaus und wippt mit dem Fuß. Ob nun im Takt zu den Trommel-Rhythmen der türkischen Bongo- Spieler oder zum Wolfgang-Petri-Lied, das aus einem Ghetto-Blaster kommt, ist nicht klar. Er ist mal raus aus dem Krankenzimmer und beguckt sich die Leute, die sich am Urbanhafen auf den Uferwiesen tummeln. Unten am Wasser sitzt eine Gruppe Jurastudenten in einer Kuhle platt gesessenen Grases mit einem Stapel Bücher. Sie entkorken eine Flasche Wein und interessieren sich nicht weiter für die Wälzer, sondern für die blonde Frau und ihre Freundin, die sich ein paar Meter weiter in bunten Bikinis sonnen. Auf dem Spazierweg entlang des Landwehrkanals weicht ein Jogger trödelnden Spaziergängern aus.

Es ist Sommer, die Berliner verbringen ihre Tage in der Nähe des Wassers.

Der Psychologe Claus Christian Carbon der Freien Universität erklärt, dass Wasser eine besondere Faszination auf den Menschen ausüben. „Fließende Gewässer wirken durch ihre stete Bewegung beruhigend”, sagt er. Deshalb seien japanische Gärten immer mit Wasserelementen ausgestattet. So gestalten die Asiaten in ihren Parks ein Wechselspiel aus stillen Elementen wie Steine und Pflanzen und dem fließenden Wasser. Aber können die Plastiktüten, toten Fische und Wasserratten, die langsam durch den breiten Urbanhafen treiben, als stille Elemente gelten? Wohl nicht. Eher die Restaurantschiffe.

Etwa die „Iskele“. Die Besucher drängen sich an Bord der weiß-blauen Barkasse. Manch einer, der sich auf dem kleinen offenen Deck einen Platz in der Sonne ergattern kann, lässt sich aus lauter Dankbarkeit zu einem Vergleich mit dem Mittelmeer hinreißen. Säuerlicher türkischer Wein und schlechter Cappuccino holen den Träumer in die Realität zurück. Aber egal, die Lage zählt. Das gilt auch für den kleinen Biergarten an der Steuerbord-Seite, dessen Birken den ganzen Tag lang Schatten spenden. Und das gilt auch für die „Van Loon“, ein paar Meter weiter den Kanal abwärts. Alle Tische auf der Holzterrasse sind besetzt, es gibt leckere Salate, Wein oder Caipirinha.

Wer lieber festen Boden unter den Füßen hat, der geht in den beliebtesten Treffpunkt Kreuzbergs (der eigentlich schon in Neukölln liegt): auf die Terrasse der „Ankerklause“. Bikinis und Shorts werden gegen Jeans und schwere Boots eingetauscht. In gebührender Höhe über der Brühe des Kanals lassen Stammgäste und Neuankömmlinge die Arme über das Geländer baumeln, spucken ins Wasser, rauchen eine Zigarette und trinken Bier oder Cappuccino, der hier ausgezeichnet ist.

Dort, wo ein winziger Kanal Treptow von Kreuzberg trennt, liegen der „Freischwimmer“ und der „Club der Visionäre“. Den Unterschied zum Landwehrkanal merkt man sofort. Das Wasser ist sauberer, die Schwäne sind weißer, die Enten glücklicher. Der Weg zu den Open-Air-Bars, die auf Wasserhöhe am Flutgraben liegen, ist schwer zu finden. Zum Freischwimmer geht es zwischen Tankstelle und Hecke durch eine rostige Gittertür. Den schmalen Kiesweg entlang, am Ende rechts und dann eine enge Betontreppe runter. Endlich da. Ein langer Steg entlang des Ufers bietet Sitzmöglichkeiten. Auf den Holzgartenstühlen direkt am Wasser sitzt eine Gruppe Männer in Bermuda- Shorts und Holzfällerhemden. In einer der Nischen auf der anderen Seite des Steges trinkt ein schwarzhaariger Mann im taillierten Hemd und mit perfekt gestutztem Bärtchen einen Latte Macchiato und wird von den Mädchen am Nebentisch beäugt. Und hinten auf dem schwimmenden Anbau wippen Männer mit Rastalocken und bollerigen Hosen auf der rot-weiß gestreiften Gartenschaukel. Immer wieder werfen sie einen Blick rüber auf die andere Seite des lauschigen Wassergrabens.

Dort liegt nur einen Steinwurf entfernt der „Club der Visionäre“. Im Reich der seherisch begabten Menschen werden Gucci-Sonnenbrillen auf rasierten Schädeln zur Schau getragen, schwarz-weiß-Tätowierungen zieren muskulöse Oberarme, nackte Frauenfüße mit perfekt lackierten Zehennägeln ragen in die Luft, denn die Gäste räkeln sich auf den Second-Hand-Sesseln und -Sofas. Aus den Lautsprechern hämmert elektronische Musik. Wer etwas trinken möchte, reiht sich in die lange Schlange vor dem kleinen roten Backsteinhäuschen auf. Dort befindet sich die Bar hinter einem hohen Kacheltresen, über den Apfelschorle, Bier und Wein gereicht wird. Und nicht nur Visionäre wissen, dass gegen Abend die Mückenplage über sie hereinbrechen wird.

Es ist zwar nur um die Ecke, aber dort, wo die Spree entlangfließt und die „Hoppetosse“ liegt, ist alles anders. Auf dem Schiff bedienen Kellner in schwarzer Hose und weißem Hemd, die Maßeinheiten der Getränke sind korrekt festgelegt und gelten sogar für den Cappuccino, auf dem geräumigen Sonnendeck sitzen ältere Damen und junge Männer in Jeans und T-Shirt, Geschäftsleute und Händchen haltende Pärchen. Hier verstellt nichts die Blick über den breiten Fluss. Man hat ein Aussicht auf die Oberbaumbrücke, den Fernsehturm am Alexanderplatz, riesige Baukräne, die Moleculmänner und Zwillingstürme der Treptowers.

Im Liegestuhl einen Cocktail schlürfen, feinen, weißen Sand unter den Füßen... das klingt nach Ostsee, ist aber das Spreeufer am Monbijoupark in Mitte. Das Strandgefühl vis-a-vis des derzeit geschlossenen Bodemuseums schenkt den Berlinern das Hexenkessel-Hoftheater. Während der Love Parade sollen schon mal mehr als 1200 Gäste an einem Abend da gewesen sein. Aber noch kann die Strandbar, für die die Betreiber im Juni eigens einige Lkw-Ladungen mit Ostseesand an die Spree karren ließen, als ein Tipp für den ständig nach neuen Partyorten suchenden Hauptstadt-Genießer gelten. Das besondere Flair gewinnt die Bar durch den Charme des Provisouriums, der dem Gast überrall ins Auge fällt: Statt gestyltem Ambiente gibt es Sperrholzplatten, die mit Bastmatten ein kleines bisschen optisch aufgepeppt werden. Vielleicht wird aus der Bar eine Dauereinrichtung auch für die Sommerabende der nächsten Jahre, wenn die Verhandlungen zwischen Betreibern und Bezirksamt glücklich ausgehen.

Und wer allgemein ein Problem mit fließenden Gewässern hat, der probiert es mit einem See. Der Biergarten des Cafés am Neuen See liegt an einem weitläufigen Tümpel. Auf langen Holzbänken sitzt man bei Weißbier und einer Laugenbretzel oder hauchdünnen Pizza. Wem Lärm und Leute auf die Nerven gehen, kann sich am Steg ein Ruderboote mieten. Dort, allein auf dem Wasser, ist wahrscheinlich einer der wenigen Plätze Berlins, wo es sich tatsächlich entspannen lässt. Man sollte einen Japaner fragen. Wiebke Heiss (mit ddp)

Iskele, im Urbanhafen, in der Nähe der Admiralsbrücke, Kreuzberg, Tel.: 69 50 72 65

Van Loon, im Urbanhafen, in der Nähe der Baerwaldbrücke, Kreuzberg, Tel.: 692 62 93

Ankerklause, Kottbusser Damm 104, Ecke Maybachufer, Neukölln, Tel.: 693 56 49

Freischwimmer, Vor dem Schlesischen Tor 2, Kreuzberg, Tel.: 61 07 43 09

Club der Visionäre, Am Flutgraben 1-2, Treptow, Infos: www.clubdervisionaere.de

Hoppetosse, Eichenstraße 4, Treptow, Tel.: 53 32 03 40

Strandbar Mitte, Monbijoustraße 3, Mitte. Infos: www.starndbar-mitte.de

Café am Neuen See, Lichtensteinallee 2, Tiergarten Tel.: 254 49 30

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