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Berlin: Alles nur Spaß

Berlin hat eine blühende Comedyszene. Es gibt Varietébühnen, Improtheater und Politkabarett Das Erfolgsgeheimnis: Anfänger haben genug Raum zum Üben. Und nicht jede Pointe muss sitzen

Die Nummer mit der biologiebesessenen Mutter sitzt noch nicht richtig. Nach jedem dritten Satz läuft Keirut Wenzel zu seinem Manuskript rüber und guckt nach, wo er gerade den Faden verloren hat. Wenzel ist Comedian aus Köln und schon oft im Fernsehen aufgetreten, regelmäßig spielt er Sketche in „Was guckst du?“. Wäre das heute ein bezahlter Auftritt, käme er einem Desaster gleich. Aber es ist ja Donnerstagabend, und da gibt’s in der Scheinbar in Schöneberg „Open Stage“. Das heißt: Jeder, der will, kann hier auftreten. Ohne Anmeldung, ohne Casting, ohne Honorar. Und meistens ohne perfekte Show.

Berlins Comedyszene ist unglaublich groß und vielfältig, sagt Barbara Friedl-Stocks. Früher war sie Politikberaterin, seit einigen Jahren steht sie hauptberuflich mit politischer Satire auf der Bühne. So oft wie möglich auch in der Scheinbar. Das Geld verdienen müsse man allerdings mit Auftritten in der Provinz, Berlin sei einfach zu überlaufen. Da gibt es die vielen Varieté-Bühnen, die „Open Stage“-Abende im Programm haben. Da gibt es die Bühnen für Stand-up-Comedy. Und natürlich die traditionsreichen Häuser wie die „Wühlmäuse“, die „Stachelschweine“ und die „Distel“, die klassisches politisches Kabarett zeigen. Das Schöne an Berlins Comedy- und Kabarett-Szene: Es entstehen laufend neue Ideen. Manche davon werden über die Stadt hinaus bekannt: Im Prime-Time-Theater in Wedding etwa läuft seit 2004 die Bühnen-Soap „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, die den Stadtteil und seine Bewohner liebevoll aufs Korn nimmt – ein riesiger Erfolg, alle zwei Wochen gibt es eine neue Folge.

Gerade die Mischung aus hochprofessionellem Angebot und „Open Stage“-Bühnen zum Ausprobieren macht in Berlin den Reiz aus, sagt Kabarettist Eckart von Hirschhausen. Und gewährleistet eine hohe Qualität: „Man braucht als Comedian eine Bühne, auf der man sehr lange schlecht sein kann, bis man gut ist – oder aufhört.“ Hirschhausen, der inzwischen oft im Fernsehen zu sehen ist, nutzt etwa die Kleinkunstloge „Förderverein Genie und Wahnsinn“ seines Kollegen Sebastian Krämer, um neue Nummern auszuprobieren. Große Erfolge beim Publikum feiern in der Hauptstadt auch Improvisationsabende mit Comedy-Elementen wie der „Theatersport“ oder die „Poetenschlacht“. Improvisationstheater ist ein Zusammenspiel der Darsteller mit dem Publikum. Die Zuschauer machen Vorschläge für das Geschehen auf der Bühne, für Orte oder eine Epoche. Zwei Mannschaften treten auf der Bühne gegeneinander an. Das Publikum zeigt durch Buhrufe oder Applaus an, wer besser ist. Als Vater des modernen Improvisationstheaters gilt der Engländer Keith Johnstone, der seine eigene Schauspielausbildung als einschüchternd und wenig kreativ empfand und seine Schüler in den siebziger Jahren zu Spontaneität erziehen wollte. Der Begriff „Theatersport“ ist inzwischen sogar eine eingetragene Marke, nur lizenzierte Gruppen dürfen ihn verwenden.

Oft sind die Berliner Kleinkunstbühnen nicht größer als ein durchschnittliches Wohnzimmer, das macht es ziemlich gemütlich. Die Scheinbar zum Beispiel wurde 1984 von Schauspielschülern gegründet. Direkt von der Straße tritt man in den Bühnenraum, eine kleine Bar in der Ecke, drei Stuhlreihen vor der Bühne und eine kleine Tribüne bieten Platz für um die 50 Leute. Die Atmosphäre ist entspannt, Moderator und Künstler rauchen kurz vor Beginn noch ein paar Zigaretten.

Wie beim Improvisationstheater ist auch jeder Abend beim Open Stage eine Überraschung. Man weiß nie, wie viele kommen, wer kommt. Jeder Auftritt ist normalerweise auf sieben Minuten begrenzt. Berühmte Kabarettisten probieren hier neue Stücke, Hobby-Comedians stauben Freigetränke ab, Nachwuchshoffnungen suchen die Öffentlichkeit. Jeder Abend ist ein neues Experiment. Für die Zuschauer ein preiswertes und meist sehr amüsantes.

Lisa Zimmermann

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