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Kein Traum vom Fliegen. Seit 16 Jahren wird im Tower des Flugplatzes Sperenberg keine Maschine mehr abgefertigt. Fotos: pa/ZB

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Planung eines Großflughafens: Alles ruhig auf der Piste in Sperenberg

Die Politik war dagegen, 40 Kilometer südlich von Berlin den neuen Flughafen BBI zu bauen. Seither hat sich in Sperenberg nichts getan.

Sperenberg – Die Suche nach dem Flugplatz Sperenberg endet zunächst im aufgeweichten Waldboden. Die Räder drehen durch, nichts geht mehr. Dabei hatte sich der ältere Herr in der Kneipe des 2200-Seelen-Dorfes doch so viel Mühe mit der Wegbeschreibung durchs Dickicht hinter der örtlichen Kläranlage gegeben. Offenbar war er lange nicht mehr auf dem Gelände gewesen, das 1996 fast zum Großflughafen Berlin-Brandenburg geworden wäre. Bekanntlich aber setzten Berlin und der Bund das stadtnahe Schönefeld als Standort durch. Sperenberg mit seinem ehemaligen russischen Militärflugplatz, so hieß es damals, würde 40 Kilometer südlich der Stadt und daher zu fernab in der Pampa liegen.

Aber selbst in dieser abgelegenen Gegend passieren Überraschungen. Wie aus dem Nichts tauchen zuerst ein großer Hund und wenig später eine Frau mit einem Strauß bunter Herbstblätter in der Hand auf. „Für den Flugplatz hat sich schon lange niemand interessiert“, sagt die Mittvierzigerin kopfschüttelnd. „Mit dem Auto ist hier kein Durchkommen mehr. Aus dem einstigen Fahrweg hat die Natur nur noch einen Trampelpfad übrig gelassen.“ Mit vereinten Kräften und viel Reisig unter den Reifen gelingt schließlich das Freischaukeln. Vor der Rückfahrt ins zehn Minuten entfernte Dorf fällt der Blick noch auf seltsame Gebilde mitten auf dem großen See, der ebenfalls zu dem alten Militärgelände gehört.

Des Rätsels Lösung bringt der erneute Versuch einer Stippvisite auf dem Rollfeld am nächsten Tag. Vor der Sperenberger Sparkasse gibt ein Einwohner des benachbarten Kummersdorf nicht nur einen „todsicheren Tipp“ für den Weg durch die Flugplatzmauer, sondern erklärt auch die Fragmente im See: „Dort haben ganz unterschiedliche Armeen den Brückenbau geübt. Es soll sogar noch eine große Dampflok im Schlamm versunken sein, aber wegen der vielen herumliegenden Munition wird sie da wohl noch ewig ihr Geheimnis bewahren.“ Ein vorbeikommender Bekannter hakt beim Stichwort „geheim“ sofort ein. Er habe gehört, dass der Flugplatz bald wieder in Betrieb genommen werden solle. „Für Nachtflüge, weil die in Schönefeld nicht erlaubt sind“, behauptet er. Die Umstehenden zucken mit den Schultern. „Heute ist alles möglich“, wirft eine Frau in die spontane Runde. Doch letztlich überwiegt die Freude, dass Sperenberg nicht Großflughafen wurde: „Umsiedlung und Lärm sind uns erspart geblieben.“

Dank robuster Wanderschuhe gelingt dann doch der Blick auf die Start- und Landebahn mitten im Wald. Etwas mehr als 16 Jahre liegt der letzte historische Akt zurück. Am 1. September 1994 bestieg hier mit Matwej Burlakow der letzte Oberkommandierende der russischen Streitkräfte in Deutschland die Maschine nach Moskau und beendete damit den gigantischen Abzug von rund einer halben Million Soldaten und Angehörigen aus dem Osten. „Lebe wohl, Deutschland“, rief der General seiner noch einige Tage im nahen Wünsdorf bleibenden Nachhut zu.

Damit schloss sich auch ein Schlupfloch für Autoschmuggler. Deutsch-russische Banden hatten jahrelang vor allem Luxuskarossen und Ladas in Berlin und Brandenburg gestohlen und nachts in den Bäuchen riesiger Frachtmaschinen verschwinden lassen. Zuerst stritten die Generäle jede Beteiligung ab, mussten dann aber doch Ermittlungen der Moskauer Militärstaatsanwaltschaft zustimmen. Dennoch ging der Autoklau weiter.

Fast wie in Tempelhof. Kein Flug wird kommen.
Fast wie in Tempelhof. Kein Flug wird kommen.

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Für die Sperenberger selbst änderte sich das Leben mit dem Abzug der hier einst stationierten 2200 Soldaten ab September 1994 schlagartig. Kein Manöver in der Luft oder zu Lande störte mehr ihre Ruhe. Diese wollten sie sich durch einen Großflughafen nicht wieder nehmen lassen und gingen dafür auf die Straße. 22 Millionen Bäume, so hatte eine Bürgerinitiative ausgerechnet, hätten für den neuen Airport gefällt werden müssen.

Dennoch hingen die Einwohner bis 2006 mit ihrem Flugplatz in der Luft. „Wir waren bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zugunsten von Schönefeld die Reservefläche, falls doch noch etwas schiefgehen sollte“, sagt Carsten Preuß, Kopf der damaligen Proteste. „Leider gehört das Gelände nach wie vor der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, dem Nachfolger des Bundesvermögensamtes.“ Für Ortsvorsteher Lutz Lehmann wirken diese Eigentumsverhältnisse wie ein „Damoklesschwert“, das die eigenen Pläne der Region behindere. Tatsächlich gibt es derzeit nur ein ernsthaftes Konzept, nachdem sich Pläne für einen Freizeitpark „Fläming-Resort“ und eine Miniaturwelt namens „Euroworld“ in Luft aufgelöst haben. Jetzt forcieren Gemeindeverwaltung, Landrat, Museumsverband und die Gremien für die regionale Entwicklung ein Projekt, das sogar auf die Unesco-Welterbeliste soll. „Wir wollen auf dem ehemaligen Militärgelände zwischen Kummersdorf und Sperenberg ein großes Freilichtmuseum zur kritischen Auseinandersetzung mit der Militärtechnik aufbauen“, erklärt Preuß, der das Projekt wie viele Einwohner unterstützt. „Nirgendwo anders kann der Wahnsinn der Kriegsmaschinerie so eindrucksvoll dokumentiert werden“, heißt es beim Förderverein. Mehr als 100 Jahre testeten Armeen hier Waffen aller Art, selbst Wernher von Braun testete hier seine ersten Raketen. Der Flugplatz selbst könnte zum Sonnenkraftwerk werden, um zusätzliches Geld für das Museum zu erwirtschaften. Doch solange die Finanzierung der Munitionssuche auf dem 35 Quadratkilometer großen Gelände ungeklärt ist, bleibt das eine Idee.

Der Rückweg führt am Bahnhof vorbei, wo nach den Flughafenplänen der ICE zweimal pro Stunde halten sollte. Jetzt verfällt der Bau, auf den Schienen fahren Draisinen. Claus-Dieter Steyer

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