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Berlin: Alphorn in Beton

Seit zwei Jahren graben sich Neugierige durch den Bunker am Humboldthain. Heute ist Richtfest, bald darf jeder rein

Dietmar Arnold lebt noch. Das ist insofern bemerkenswert, als er schon mit 14 Jahren heimlich in den Flak-Bunker im Volkspark Humboldthain geklettert ist. Die ganze grüne Humboldthöhe mit ihren Spazierwegen ist ja nur Schminke um die fast drei Meter dicken Wände, aufgeschüttet aus den Trümmern der vom Krieg zerstörten Stadt, aus der das bombensichere Monstrum 40 Meter in die Höhe ragte. Manchmal ist der Boden nachgerutscht und hat einen Eingang freigegeben, oder jemand hat eine Luke aufgehebelt und ist reingeklettert. Aber der Schein eines Feuerzeugs verliert sich in den Abgründen von Treppenhäusern und Aufzugsschächten. Drei Abenteurer stürzten in den Tod. Dietmar Arnold, der Teenager, hatte immerhin Seil und Taschenlampe dabei. Mittlerweile ist er 38, Vorsitzender des Vereins „Berliner Unterwelten e.V.“ und ziemlich erwachsen. Heute feiert er mit geladenen Vereins-Unterweltlern Richtfest im Bunker. Mit kaltem Büfett, Alphornklängen, Diavortrag, Präsentation eines Buches über das Bunkerleben und mit akustisch simuliertem Luftangriff.

Die Luft im Bunker lässt Brillengläser beschlagen und den Atem dampfen. Aus Rissen in der Decke sind fingerlange, dürre Stalaktiten gewachsen. Teile der Armierung vom Kaliber eines Löwenkäfigs liegen frei. Seit fast zwei Jahren ackern ein paar Vereinsmitglieder im Bauch des Ungetüms, das die Alliierten 1948 mit 35 Tonnen Dynamit nicht aus der Welt schaffen konnten. Tausende von Euro und Arbeitsstunden haben sie investiert, Schuttberge aus den Gängen geschaufelt, im Licht von Scheinwerfern die Abgründe gesichert, einen Raum mit Leinwand und Biergartenbänken möbliert. Der Bezirk Mitte unterstützte sie nach Kräften. Ab April wollen sie eine Ausstellung „Vom Flakturm zum Trümmerberg“ zeigen und Führungen anbieten. Keinen Geisterbahngrusel, sondern plastischen Geschichtsunterricht in dem Klotz, den die Nazis 1942/43 als Teil einer Flugabwehr-Batterie für die Innenstadt errichteten: Auf dem Dach krachten die Kanonen, im Obergeschoss saßen die Militärs, im Keller lagerte die Munition, dazwischen hockten die Zivilisten. Unter 3 Meter 80 dicken Betondecken, jenseits von Tageslicht und Jahreszeiten, lässt sich erahnen, wie es den 50 000 Menschen erging, die bei Alarm hier ausharrten.

Günter Schubbel erinnert sich noch. Vier Jahre war er, als seine Mutter mit ihm abends von ihrer Wohnung in der Stralsunder Straße zum Schlafen in den Bunker lief. Jetzt sitzt er beim Käffchen in einem Raum, der trotz Tisch und Stühlen so gemütlich ist wie ein Bergwerksstollen. „Wir haben in der dritten Etage geschlafen“, erinnert sich Schubbel. Von den Einschlägen drang nur ein Grummeln zu ihnen. Morgens sind sie dann zwischen brennenden Ruinen heimgegangen. Sie hatten Glück, ihre Wohnung blieb stehen. Manchmal ist es beklemmend, in den Bunker zu steigen, sagt Günter Schubbel. „Aber nach so langer Zeit geht das schon.“ Fachleute aus dem Unterwelten-Verein haben ein Geländer an den erhaltenen Teil der Wendeltreppe gebaut. So ist die nächsttiefere Etage erreichbar. Dort liegt Schutt auf einer durchgesackten Decke wie in einem Trichter. Einem aus dem Verein ist hier eine Schubkarre entglitten und in den Trichter gerutscht. Vier Etagen tiefer fanden sie sie wieder. Totalschaden.

Unten sollen noch Schutzräume intakt und Wände beschriftet sein. „Wir brauchen mindestens vier Jahre, bis wir unten sind“, sagt Dietmar Arnold. Aber sie werden ankommen.

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