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Berlin: Als „50 wilde Kongoweiber“ zur Kolonialschau lockten

Von Berlin aus wurden zur Kaiserzeit die afrikanischen Kolonien verwaltet, das bescherte den Berlinern exotische Abenteuer und prägte die Stadt. Eine Spurensuche.

Von Andreas Conrad

„Wie heißt der höchste deutsche Berg?“ Vielleicht sollte man Schülern der Pisa-Generation diese Frage lieber nicht mehr stellen. Allzu oft, so steht zu befürchten, blickt man in ratlose Gesichter. Interessant wäre freilich der Vergleich der heutigen Trefferquote und der vor, sagen wir, 100 Jahren. Läge die Pauker-Schule vorn? Gewiss, die Antworten müssten unterschiedlich ausfallen: heute Zugspitze, damals Kilimandscharo.

Von den Zöglingen des kaiserlich-deutschen Schulwesens hätte man wohl außerdem verlangt, Auskunft über den höchsten Zipfel des in der Kolonie Deutsch-Ostafrika gelegenen Berges zu geben: Es war die Kaiser-Wilhelm-Spitze, noch bis 1961 wäre diese Antwort richtig gewesen. Der Kolonialkünstler Walter von Ruckteschell hatte das Vulkanmassiv 1914 gemalt, das Werk befindet sich im Deutschen Historischen Museum, war also schon deswegen würdig, in das von Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller herausgegebene Buch „Kolonialmetropole Berlin“ aufgenommen zu werden.

Als „eine Spurensuche“ wird das 320 Seiten starke Werk beschrieben. Zwar kennen nicht nur Weddinger das Afrikanische Viertel, und immer mal wieder gibt es kommunalpolitische Vorstöße, die Dahlemer Lans-, Iltis- und Takustraße endlich umzubenennen, da mit ihnen der blutige Einsatz deutscher Truppen beim chinesischen Boxer-Aufstand verherrlicht werde. Aber bis auf solche Ausnahmen ist die deutsche Kolonialgeschichte in Berlin doch in Vergessenheit geraten – und die Spuren sind kaum mehr zu erkennen. Zum Beispiel an dem Gebäude Am Karlsbad 10 in Tiergarten: ein leerstehendes Bürohaus, die Fassade durch sechs angedeuteten Säulen im antiken Stil gegliedert. Man muss den Kopf schon arg in den Nacken legen, will man den Blick bis unters Dachgesims schweifen lassen. Sechs Schmuckreliefs erkennt man dort, die beiden zeigen je einen Afrikaner mit Ohrringen. Es ist der einzige Hinweis auf die Vergangenheit des Gebäudes, das zuletzt vom Jugendsenator genutzt wurde. Bekannt war es als das „Afrika- Haus“, gebaut wurde es 1911 als Sitz der Deutschen Kolonialgesellschaft.

Das Buch ist eine Fundgrube für solche und noch weit spannendere Details, breitet die Kuriositäten der Berliner Kolonialgeschichte ebenso aus wie die großen Zusammenhänge diese Phase. 33 Autoren haben Stoff für zehn Haupt- und 55 Unterkapitel zusammengetragen – was auch das Manko des Buches ist. Nicht ein großer Bogen wird gespannt, sondern Facette an Facette gereiht, deren Gliederung nicht immer einleuchtet. So werden in dem Kapitel über „Afrikanische Migranten in der Reichs(kolonial)hauptstadt“ Schicksale von Afrikanern geschildert, die es nach Berlin verschlagen hatte und die hier als U-Bahnzugführer, Kellner, Schauspieler, Sprachlehrer oder Koch arbeiteten. Zwei Kapitel später, unter der Überschrift „Spurensuche in Berliner Museen“, liest man dann über den schwarzen preußischen Militärmusiker Gustav Sabac el Cher, nur weil er mit seiner weißen Frau auf einem Gemälde von 1890 abgebildet wurde, das sich im Deutschen Historischen Museum befindet.

Ohnehin gilt das Interesse der Autoren fast ausnahmslos den deutschen „Schutzgebieten“ in Afrika. Die übrigen Kolonien wieDeutsch-Samoa werden allenfalls gestreift. Sicher haben sie im Berliner Stadtbild nie die Rolle gespielt wie die afrikanischen Besitzungen, doch hätte sich beispielsweise leicht ein Bogen schlagen lassen vom Pekinger Platz und der Kiautschoustraße in Wedding zu dem erzwungenen Besuch des „Sühneprinzen“ Chun, eines Bruders des Kaisers von China, der 1901, nach der Zerschlagung des Boxer-Aufstands, vor Wilhelm II. den Kotau vollziehen musste.Und dabei wäre doch der damals verkaufte Hampelmann, der „Prinz Chun darstellte, als Beispiel für den Rassismus kaum weniger geeignet als ein im Buch abgedrucktes Plakat, das 1913 zur Kolonialschau lockte: „50 wilde Kongoweiber“.

Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. (Hrsg. von Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller). Berlin Edition im Quintessenz-Verlag, Berlin. 320 Seiten, 24,80 Euro.

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