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Ihr Laden, ihr Leben. Norbert und Annegret Schielke in ihrem Laden, der vorne Vögel hat und hinten Fische.

© Ariane Bemmer

Alteingesessene Zoohandlung in Tempelhof: "Wellensittiche gehen immer"

Schon seit 52 Jahren betreibt das Ehepaar Schielke die Tempelhofer Zoohandlung „Vögel und Fische“. Ihrer Tierliebe hat das nicht geschadet, aber manche Menschen wurden ihnen suspekt.

Es ist ein bisher unterbelichteter Aspekt der Digitalisierung, den Norbert Schielke ohne das geringste Zögern parat hat. Dass die Digitalisierung neben ihrer ganzen Undinglichkeit doch eine greifbare Herausforderung sei, weshalb die Menschen dauernd damit beschäftigt seien, ihre Geräte zu bedienen. Sie stecken sie in Hüllen oder holen sie raus, halten sie fest und wischen oder drücken auf ihnen herum. Haben also im wahrsten Sinne des Wortes keine Hand mehr frei für das, was Schielke anbietet: für Haustiere vom alten Schlage, für Meerschweinchen, Zwergkaninchen, Hamster, Wellensittiche und dergleichen Miniaturgetier mehr, das vor 30 Jahren noch die Kinderzimmer der Nation vermüllte und vermuffte.

Nee, das sei vorbei, sagt Schielke. Er ist 78 Jahre alt und gerade im hinteren Teil seines schlauchartigen Zoogeschäfts am Tempelhofer Damm 153 unterwegs, wo über- und nebeneinandergereihte Aquarien fahles Licht verbreiten und wohin das Gekreisch der Wellensittiche nur als Ahnung vordringt. „Kinder interessieren sich nicht mehr für Tiere“, sagt er. Und lange Zeit seien Kinder der Hauptgrund gewesen, weshalb Erwachsene ein Heimtier kauften. Den Kindern wurde ein Wunsch erfüllt und vielleicht etwas beigebracht: was Verantwortung, Verbindlichkeit, Verpflichtung sind.

Die jungen Menschen verlieren den Reiz an einem Haustier

Den Tieren treu sind vor allem die Vertreter der Prä-Digitalisierungsgeneration. Laut einer Untersuchung der Tierfutterfirma Mars Petcare sind „mit einem Anteil von 32 Prozent Senioren ab 60 Jahren die größte Gruppe der Heimtierhalter – mit steigender Tendenz“. Schielke nennt sie die „älteren Semester“ und lobt, dass die sich noch auskennen, dass sie einen Harzer Roller noch von einem ordinären Kanarienvogel unterscheiden könnten. Der Harzer Roller ist quasi der Ariensinger unter lauter Schlagersängern, die nur den „Schnabel aufsperren und losschreien“. Heute dagegen könne man jedem alles aufschwatzen, sagt Schielke. Macht ja auch keinen Spaß. Dann geht er nach vorne in den Laden, wo es hell ist und laut wegen der Vögel.

Gegenüber den Käfigen steht Schielkes Frau Annegret hinter dem Verkaufstresen, von einem Bandscheibenvorfall gebeutelt, aber sonst bester Dinge. 79 Jahre ist sie alt, die beiden sind seit 52 Jahren verheiratet, vor 46 Jahren haben sie das kleine Zoogeschäft mit dem pragmatischen Namen „Vögel und Fische“ übernommen, das es seit 1932 gibt, es ist das vermutlich älteste Zoogeschäft Berlins. Und dadrin haben sie sich auch kennengelernt: als er noch Lehrling war und sie Verkäuferin. 52 Jahre Wellensittichgekreisch, kaum je Urlaub, kaum je ein Wochenende frei, weil ja die Tiere sieben Tage die Woche Durst haben und versorgt werden müssen – wird man da nicht verrückt? Papperlapapp. Vielmehr werden die Schielkes nervös, wenn es plötzlich still ist im Geschäft, denn dann stimmt etwas nicht.

Vogelalarm in der alteingesessenen Zoohandlung in Tempelhof.
Vogelalarm in der alteingesessenen Zoohandlung in Tempelhof.

© Ariane Bemmer

Das Geschäft veränderte sich im Laufe der Jahre

In all den Jahren gab es einige Veränderungen und Neuerungen. Sie waren anfangs noch Großhändler für Papageienvögel mit eigener Quarantänestation, sie haben Futtermittel frisch gemischt und Katzenstreu geliefert, Tiere in Pension genommen und von 1996 bis 2006 sogar noch eine Filiale in der Zehlendorfer Onkel-Tom-Straße gehabt. Gleich geblieben ist über all das hinaus allein der Topseller: Wellensittiche. „Wellensittiche gehen immer“, sagt Norbert Schielke. Auch Hamster hätten sich ihrer kompletten Nichteignung als Kindertier – nachtaktiv, wenig gelehrig, wenig kuschelig – zum Trotz lange im Angebot gehalten. Schielke empfiehlt am liebsten Zwergkaninchen und Meerschweinchen. Aber auch nur, wenn er das Gefühl hat, die Tiere landen in einem wertschätzenden Haushalt. Sind ja schließlich Lebewesen. Und für die hat er ein Herz, seinem eher grantlerischen Auftritt zum Trotz.

Tiere mögen und mit Tieren handeln. So richtig passt das nicht. Das merken die Schielkes manchmal auch selbst. Annegret Schielke erzählt, dass sie bei besonders schmerzhaften Verkäufen ihren Mann nach vorne gerufen habe. Wenn etwa ein Graupapagei, der ihr ans Herz gewachsen war, einen Käufer gefunden hatte. „Mach du das“, habe sie dann ihrem Mann gesagt.

Und jetzt sitzen ihr gegenüber wieder zwei Graupapageien im Käfig. Das Weibchen hat den Kopf ins Gefieder gebogen, das Männchen rutscht eine Stange hinunter und kommt an die Gitter, wenn ein Ladenbesucher dort steht. Dann plustert er sich auf oder wackelt mit dem Kopf, aber nicht, weil er sich freut, sondern um das Weibchen zu beschützen, wie Schielke sagt. Und das sei doch das Schöne: Dass man über die Tiere und von ihnen lernen könne. Wenn man sie beobachtet, wie Zoologen Zootiere beobachten. Aber dazu braucht es natürlich Geduld, die Schielke ebenfalls auf dem Rückzug sieht. „Haben Sie einen Handzahmen?“, fragten die Leute, die sich nach Wellensittichen erkundigen. In Schielkes Käfig sitzen etwa zwölf Artgenossen beisammen. Wie sollte von denen einer zahm dem Menschen gegenüber werden? Eine Frau habe sich nach einem „schwangeren Wellensittichweibchen“ erkundigt, sie wolle die Küken dann aufwachsen sehen. „Schwangerer Wellensittich, was für ein Einfall!“, ruft Schielke.

Auch Fische gibt es selbstverständlich.
Auch Fische gibt es selbstverständlich.

© Ariane Bemmer

Und dann seien da noch die Leute, die ein Tier suchen, das anspruchslos ist, was Haltung und Gesellschaft angeht, denn eigentlich habe man kaum Zeit übrig. Aber wer keine Zeit hat, sollte gar kein Tier haben, sage er denen, sagt Schielke. Und die könnten das natürlich als Hinweis darauf nehmen, dass ihr Alltag vielleicht ein bisschen übervoll ist, und so sogar von Tieren lernen, die sie nicht kaufen.

Der Zooladen- kein Geschäft für die Ewigkeit

Was heute nicht stimmt, ist der Mensch, das steht in diesem Geschäft fest. Weil der kaum noch etwas wisse, kein Buch mehr lese, sondern irrigerweise meine, nach ein paar Internetklicks genauso schlau zu sein wie ein alter Fachmann. Oder weil der in seiner Funktion als Bürokrat via EU-Bestimmungen in das Leben der kleinen Zoohändler hineinregiere. Wenn etwa die Beringungspflicht für Sittiche und Papageienvögel fällt, so dass nun jeder züchten und verkaufen kann, wie es bei Katzen und Hunden schon lange der Fall ist.

Die beiden Tierarten führen laut dem Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) die Hitliste der beliebtesten Haustiere in Deutschland an, wobei es keine konkreten Zahlen gibt. Es folgen Kaninchen und Meerschweinchen und dann die Felllosen: Fische, Wellensittiche, Schildkröten, Echsen und Schlangen, vor allem beliebt bei Tierfellallergikern. Zum 1947 gegründeten ZZF gehört auch der „Verband zoologischer Spezialgeschäfte und verwandter Gewerbe Berlin“, dessen Vorsitzender Schielke lange Jahre war und sein Sohn Dietmar heute ist. Als der Berliner Verband 2009 seinen 100. Geburtstag feierte, schrieb der „Zoologische Zentralanzeiger“, es sei „auf weitere 100 Jahre“ angestoßen worden. Schielke allerdings verkleinert seinen Laden seit Jahren. Von acht Angestellten und immer neuen Auszubildenden sind heute noch er und seine Frau im Dienst. Und ewig würden sie auch nicht weitermachen können, sagt er. Auch wenn seine Frau die Graupapageidame im Käfig anzwinkert und sagt: „Mit ihr komme ich inzwischen ganz gut aus.“ Was gar nicht so klingt, als habe sie es eilig, ihren Platz hinter dem Tresen gegen irgendeinen anderen Platz auf der Welt einzutauschen.

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