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Berlin: Am Abend glühte die Stadt

Vor 60 Jahren zerstörten 1000 Bombenflugzeuge das gesamte Zentrum. Es war der größte Luftangriff des Zweiten Weltkriegs auf Berlin

Um 10 Uhr 39 heulen die Sirenen. Die Frauen nehmen Kinder und Koffer, laufen in die Luftschutzbunker oder verschwinden in den Kellern der Stadt. Heute, am 3. Februar 1945, gibt es für die Reichshauptstadt den 288. Fliegeralarm des Krieges. Ein strahlender Sonnabend mit blauem Himmel und Sonnenschein: „Bombenwetter“ nennen die Leute solche Tage, der Berliner hat seinen Galgenhumor behalten. „Bleib’ übrig!“, sagt man beim Abschied.

Karola H., die junge Angestellte der Preußischen Staatsbank (Seehandlung) am Gendarmenmarkt, schafft es gerade noch in den Tieftresorraum. Das Pfeifen und Explodieren der Bomben und Luftminen ist dort nur noch als Grummeln zu hören, aber plötzlich verlöscht das Licht, jemand zündet eine Kerze an, einer fragt in die Stille: Was wird aus uns, wenn wir hier unter einer Schutthalde lebendig begraben werden? Da man sich zwischen den Tresoren befand, in denen die Reichen der Stadt ihre Wertgegenstände deponiert hatten, spenden sie sich gegenseitig Trost: „Die werden schon dafür sorgen, dass sie an ihren Schmuck kommen, und dann sind wir fein ’raus“.

In zwei Wellen erreichen die 939 amerikanischen Bomber Berlin, viermotorige „Fliegende Festungen“, die über 2000 Tonnen Spreng- und 250 Tonnen Brandbomben abwerfen. 600 Jäger begleiten den riesigen Bomberstrom bei der „Operation Donnerschlag“ (Thunderclap). Das Ziel des Angriffs, zu dem die Engländer ihre amerikanischen Verbündeten gedrängt hatten: Mit der Zerstörung der Innenstadt sollte auch die Moral der Zivilbevölkerung getroffen werden. In einem streng geheimen Dokument vom 17. Juli 1944 hatten die Engländer die Möglichkeit eines Luftschlags gegen die Innenstadt erwogen: „Von Anfang August an...sollte es möglich sein, in vier Tagen und drei Nächten 20 000 Tonnen auf diese Stadt abzuladen. Fast 48 000 Tonnen sind über eine beträchtliche Zeitspanne hinweg über dem Ziel mit großer, aber nicht katastrophaler Wirkung verbraucht worden. Viele dieser Angriffe richteten sich jedoch auf spezifische Ziele in den Außenbezirken der Stadt, eine viel stärker konzentrierte Zerstörung hätte erreicht werden können, wenn, so ein Sichtbombardement möglich war, ein Punkt im Herzen des ’Regierungviertels’ ausgewählt worden wäre. Es ist unmöglich, vorher zu sagen, welche Wirkung eine solche Serie von Angriffen auf die deutsche Moral als Ganzem haben würde. Wenn sie binnen vier Tagen erfolgreich durchgeführt werden würde, sollten sie eine genügend katastrophale Wirkung haben, um das gesamte normale Leben in Berlin zu unterbinden...“. Am 3. Februar reichten dazu 90 Minuten.

„Es war zweifellos einer der hervorragendsten Angriffe“, heißt es später bei der 8. US Air Force. Die Bilanz des größten Flächenbombardements auf Berlin im 2. Weltkrieg: Die Gegend um die Bahnhöfe Schöneberg, Papestraße, Tempelhof und Anhalter Bahnhof bieten ein Bild schwerer Verwüstung, das Zeitungsviertel steht in Flammen, die Regierungsbauten der Wilhelmstraße sind getroffen, die Altstadt ist weg, der Dom, die Staatsoper, das Stadtschloss – rauchende Trümmer. Das Zentrum ist Geschichte – vom Potsdamer Platz bis zum Halleschen Tor, vom Bahnhof Friedrichstraße bis zum Moritzplatz und von hier bis zur Hasenheide. Über 2500 Menschen werden getötet, 120 000 durch die 7160 Spreng- und fast 1000 Brandbomben obdachlos. 2296 Bauten und 360 Betriebe sind zerstört, über 22 000 Wohnungen vernichtet. Eines der Opfer: Roland Freisler, der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofs. Er wurde in seinem Büro in der Bellevuestraße von einem herabfallenden Balken erschlagen.

Der Wehrmachtsbericht ist dürftig: „Die Reichshauptstadt war am gestrigen Tage das Ziel eines Terrorangriffs der Nordamerikaner. Es entstanden vorwiegend in der Stadtmitte Schäden an Wohnhäusern und Kulturbauten sowie Verluste unter der Zivilbevölkerung“. Die Journalistin Ursula von Kardorff beschreibt das Bild, das sich ihr bietet, als sie den Adlon-Bunker verlässt: „Kein Stückchen Himmel zu sehen, nur gelbe, giftige Rauchschwaden. Am Potsdamer Platz brannte das Columbushaus wie eine Fackel. Wir wanderten inmitten eines Stroms grauer, gebückter Gestalten, die ihre Habseligkeiten mit sich trugen. Ausgebombte, mühselig beladene Kreaturen, die aus dem Nichts zu kommen schienen, um ins Nichts zu gehen. Kaum zu merken, dass der Abend sich über die glühende Stadt senkte, so dunkel war es auch tagsüber schon...“

So ähnlich erlebt es Karola H., als sie endlich aus dem Tieftresor der Preußischen Staatsbank ans Licht kommt: „Staub und Rauch machen den Tag zum Abend, der Gendarmenmarkt liegt im Dunkel, doch aus den Türmen der beiden Dome lodern Flammen. Das Schauspielhaus ist ein Trümmerhaufen. Wir laufen durch Schuttberge, können kaum atmen und halten uns unsere Schals vors Gesicht. Die Stadtbahn fährt nicht. Um nach Johannisthal zu kommen, laufe ich bis zur Frankfurter Allee, dort funktioniert die S-Bahn. Aber vorher stolpern wir über Trümmerberge, gesäumt von Menschen, die ihre Habe suchen, vorbei an Toten – und immer warnen am Rande Schilder: „Achtung! Blindgänger!“

Die schwedische Zeitung „Sydsvenska Dagbladet“ schrieb am 4. Februar über den schwersten Angriff auf Berlin: „Die dezimierte Feuerwehr konnte die riesigen Brände nur mit Schwierigkeiten bemeistern. Viele Berliner erschraken so sehr über diese Heimsuchung, dass sie die Luftschutzräume nicht zu verlassen wagten. Die unzähligen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten kamen bei diesem Bombenangriff aus der Asche in das Feuer... Sie irrten auf den Straßen umher und suchten, meist ohne Erfolg, eine Zuflucht. Nur wenige von ihnen konnten in den Luftschutzräumen Unterschlupf finden, weil diese von der Wohnbevölkerung der Quartiere gefüllt waren“.

Sechs Jahre nach dem Angriff, am 10. Februar 1951, wurden auf dem Friedhof in der Bergmannstraße (symbolisch) in einem einzigen Sarg die sterblichen Überreste von etwa 80 Verschütteten beigesetzt. Ihre Leichen waren bei Enttrümmerungsarbeiten im Hause Ritterstraße 75 im Keller entdeckt worden. Bis heute gelten ungezählte Betroffene von damals als verschollen und vermisst.

Nach dem Krieg gab es Vorschläge, den 3. Februar zum Volkstrauertag zu erklären. Im Osten war er „Aufbautag der deutschen Hauptstadt“, 1952 bemerkt ein Friedenskomitee: „Das, was sich an diesem Tage zutrug, hatte mit einer militärischen Notwendigkeit nicht das Geringste zu tun. Es war willkürliche, ungerechtfertigte und barbarische Vernichtung wehrloser Menschen, ihrer Wohn- und Kulturstätten durch amerikanische Bomber“. Die Berliner sollten „den Organisatoren eines neuen Krieges die gebührende Antwort“ geben, indem sie die Kriegstrümmer beseitigen und für einen Friedensvertrag demonstrieren.

Der Tagesspiegel schreibt am 3. Februar 1946, also ein Jahr nach dem größten Bombardement auf die Reichshauptstadt, unter der Überschrift „Das Ende von Berlin“: „Das wunde Berlin wurde an diesem Tage vernichtet. Was dann später in den zwei Monaten geschah, da sich die Schlacht aus dem Osten bis an den Tiergarten heranwälzte, war der Schlusspunkt unter eine Entwicklung, die im August 1943 begonnen hatte. Seit dem Vormittag des 3. Februar sah Berlin aus wie eine Stadt, über die eine Schlacht gerast war. Ruinen, starrende Höhlen, tiefe Krater – das ist der letzte Eindruck, der vom Berlin jener Tage geblieben ist. Nach dem 3. 2. 1945 mussten sich auch die meisten derjenigen, die sonst vor der Wirklichkeit die Augen verschlossen, sagen, dass es der Anfang vom Ende war, einem Ende mit Schrecken, dennoch milder als der Schrecken ohne Ende, der zwölf Jahre lang in den deutschen Landen und in Europa wütete“.

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