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Tempo, Tempo. Die Einstellungen beim Blick durch die Kamera mussten auch für den Film „99ml“ des Berliner Teams rasch gefunden werden.

© Thilo Rückeis

Am Rande der Berlinale: Filmdreh in vier Tagen

Nur 99 Stunden hatten konkurrierende Teams Zeit, um jeweils einen 99-Sekunden-Kurzfilm zu drehen. Den besten kürt nun das Publikum.

Lange blonde Haare, weißer Kittel, Rock und maximal hohe Pumps. In diesem Outfit tritt die Wissenschaftlerin vor die vier Probanden. Mit strenger Stimme erklärt sie ihnen die Aufgabenstellung: Für einen Laborversuch sollen sie eine Kugel aus einem zylinderförmigen Gefäß holen, ohne das Glas zu kippen oder zu zerbrechen. Proband Nummer eins – mit Sonnenbrille und noch im Drogenrausch – versucht, die Kugel mit mentalen Kräften aus dem Glas zu befördern. Proband Nummer zwei, Typ Handwerker, setzt auf körperliche Fitness. Die dritte Teilnehmerin muss zunächst einmal ihr Kind bespaßen. Proband vier, ein Professor, stammelt sogleich mathematische Formeln.

„Stopp“ – ruft der Kameramann. „Das Mikrofon ist im Bild – so ein Mist“. Noch mal. Die Regieassistentin tritt vor. „Klappe eins, die zweite“ murmelt sie. Beim nächsten Anlauf sitzt der Text von Schauspielerin Karolina Gerech flüssiger. Sie mimt die Wissenschaftlerin. Doch kurz darauf rennt Dustin, das Kind, heulend zu seiner richtigen Mutter. Das steht nicht im Drehbuch. „Gut, wir drehen erst die Szenen ohne Kind“, sagt Regisseur Oliver Lock, leicht angespannt.

Viel Zeit blieb dem Filmteam nicht, um sich so über die Runden zu retten. Denn es war kein üblicher Spot, der hier vor einigen Tagen in einem Klassenzimmer einer Steglitzer Oberschule gefilmt wurde. Die etwa 20-köpfige Crew nahm am Rande der Berlinale an einem Wettbewerb teil, dem 99Fire-Films-Award. Innerhalb von 99 Stunden müssen sie einen 99 Sekunden langen Kurzfilm produzieren. In Konkurrenz zu weiteren Filmteams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als Preisgeld locken 9.999 Euro. Vom 25. bis 29. Januar mussten die Streifen gestemmt werden, seit Donnerstag kann sie jeder im Netz ansehen und sich an der Kür des Besten beteiligen.

Das vorgegebene Thema war für alle gleich. Es hieß: „Wir machen’s einfach“. Eigentlich sei das ein Freischein dafür, so kreativ wie möglich zu sein, sagt die 25-jährige Schauspielschülerin und frühere „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“-RTL-Soap-Darstellerin Karolina Gerech. Mit ihrer Freundin, der Biologiestudentin Aleksandra Dorniak hat sie die Filmtruppe zusammengetrommelt. „Am Anfang waren wir viel zu verkopft“, sagen sie. Den Einfall für den Spot über den Laborversuch bekamen sie erst am zweiten Tag. „Dann sprudelten die Ideen nur noch so los“. Glück hatten sie, dass der Hobby-Filmemacher Oliver Lock spontan dazustieß. Innerhalb von eineinhalb Stunden habe Lock das Skript runtergeschrieben, erzählen sie. Auch die Schauspieler wurden erst einen Abend vorher angefragt. So Steffen Jürgens, zuletzt im Film „Oh Boy“ zu sehen. Er schlüpfte in die Rolle des leicht verklemmten Professors.

Doch wie ist es zu schaffen, in nur vier Tagen einen qualitativ guten, wenn auch kurzen, Film zu drehen? Oft erschien das während der Dreharbeiten unmöglich.

Rückblende: Dustins Mutter redet immer noch auf ihren Sohn ein. „Ich will nach Hause“, sagt er, trotz Spielzeug und Süßigkeiten. „Wenn das Kind nicht mitmacht, fehlt die Pointe. Dann ist alles vorbei“, sagt Kameramann Mathias Geck. Denn als einziger Proband soll das Kind am Ende die Kugel aus dem Glas bekommen. Kinder lösen Probleme viel unkomplizierter und weniger verkopft als Erwachsene, lautet die Moral des Films.

Doch wenn das Kind, wie in diesem Fall nicht will, dann will es nicht. 48 Stunden bleiben in diesem Moment noch bis zur Abgabe. Am nächsten Tag ist Schnitttermin, gedreht werden, kann nur noch wenige Stunden. Ein Schauspieler ruft einen Bekannten an. „Ich hab da noch einen Jungen“, sagt er. Ein Freund will gleich mit Sohn vorbeikommen. Kurze Erleichterung. Bis das Ersatzkind ankommt, werden Nahaufnahmen von Gesichtern gemacht und Seitenschüsse der einzelnen Szenen. Und tatsächlich wird der Film mit dem Titel „99 ml“ am Ende doch noch pünktlich fertig.

„Das waren keine optimalen Bedingungen“, sagt Lock später am Telefon. Er klingt erschöpft. Kein ausgearbeiteter Drehplan. „Alles musste ich aus der Hüfte drehen.“ Sogar ein drittes Kind hätten sie am Abend noch organisieren müssen. Auch Karolina Gerech ist erledigt, aber glücklich. „Immer wenn etwas schiefgelaufen ist, hat einer aus der Truppe ein Ass aus dem Ärmel geschüttelt“, sagt sie. Mit dem Ergebnis sind sie „sehr zufrieden“ und hoffen nun auf eine Nominierung. Was sie im nächsten Jahr besser machen würden? Alle Positionen doppelt besetzen und gleich eine Handvoll Kinder einplanen.

Ab sofort sind die besten 99 Filme auf www.99fire-films.de zu sehen. Bis zum 11. Februar kann über den Publikumssieger abgestimmt werden.

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