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Berlin: Am S-Bahnhof Witzleben betreiben Bahn-Lehrlinge eine Juniorfirma

Der orientierungslose Koreaner ist ein schwerer Fall. Er weiß weder genau, wo er ist, noch, wo er hin will.

Der orientierungslose Koreaner ist ein schwerer Fall. Er weiß weder genau, wo er ist, noch, wo er hin will. Bahnhof Witzleben? Er lacht, ohne zu verstehen. "To the Palace" möchte er, und Antje Dirks entscheidet, ihn zum Schloss Charlottenburg zu schicken. Stefanie sucht schnell die Straße heraus, Thomas die Buslinie und nach weiteren Klarstellungen wagt sich der Tourist ins Berliner Verkehrslabyrinth.

Auf dem S-Bahnhof Witzleben, eingeklemmt zwischen den Fahrbahnen der Stadtautobahn, können sich Reisende einer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein. Hier gibt es keine zeitfressenden Schlangen, und die Verkaufsschalter sind immer besetzt. Verantwortlich dafür ist die "Juniorfirma", kurz Jufi. So heißt die Info- und Verkaufsstelle des Bahnhofs, in der insgesamt 23 Azubis das Regiment übernommen haben. Die kaufmännischen Lehrlinge der Bahn praktizieren hier learning by doing, zum Wohle der Bahn und des eigenen Selbstvertrauens.

"Da redet einem keiner rein"

Seit 1996 wurden bei der Bahn bundesweit 50 Juniorfirmen und -bahnhöfe eingerichtet. Die Azubis erwirtschafteten insgesamt 50 Millionen Mark. In Brandenburg sind die Stationen Calau und Beeskow in der Hand von Azubis. Sie sollen auf diese Weise Eigenverantwortung lernen und mehr Erfolgserlebnisse erfahren, sagt Rosemarie Springer von der Abteilung Berufsausbildung. Nach der Ausbildung sind sie zudem schneller als vollwertige Mitarbeiter einsetzbar. Insgesmt 250 Auszubildende betreut die Bahn derzeit im Bereich Berlin und Brandenburg. "Da redet einem keiner rein", sagt die 21- jährige Stefanie Zimmermann, und das genießt die kecke Nachwuchskraft aus vollen Zügen. Heute darf sie ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen: Faxe verschicken und Kunden abfertigen. Dabei trifft sie bisweilen auf spleenige Zeitgenossen: einen "Afrikaner mit Rastalocken", der seine Wünsche nur konspirativ mit vorgehaltener Hand durch die Scheibe flüstert oder einen älteren Mann, der ihr unbedingt die wahre Geschichte seines Sohnes erzählen musste. Rein zeitlich geht so etwas am Bahnhof Witzleben. Dass sie mit Azubis reden, fällt den wenigsten Passanten auf. Dafür ist Stefanie aufgefallen, dass viele ratsuchende Männer erstmal ihre Frau fragen müssen, ob sie das Ticket auch bezahlen können und dürfen.

Nebenan, am großen Tisch im Dienstzimmer, wird gefrühstückt, das eingenommene Geld gezählt (das macht allerdings ein Profi) und gebastelt. Der 17-jährige Björn Maloszczyk, optisch zutreffend "Kleiner Bär" genannt, entwirft gerade das nächste Plakat zum Thema Tarifverbund. Die Eigenwerbung ist am Bahnhof Witzleben ausschließlich handgefertigt. Stefanies bevorzugtes Motiv sind naiv strahlende Sonnen über knollnasigen Reisenden - ein Werk zum Thema "Prämienkarte". Die Karte ist eine Erfindung der Azubis: Wer zehn Bahntickets im Wert von mindestens 100 Mark kauft, bekommt ein Geschenk aus dem Bahnshop: einen Regenschirm oder das Spiel "Reise durch Deutschland." Mit solchen Aktionen versuchen die Lehrlinge, das Besuchertal zur Monatsmitte etwas einzuebnen.

Im Juli, zu Beginn ihres zweiten Ausbildungsjahres, übernahm das jetzige Team den goldenen Schlüssel des Bahnhofs von den Vorgängern. Zuerst wurden die Aufgaben verteilt: Marketingchef, Pressesprecherin, Controller - was man halt so braucht. Thomas Klipstein erklomm die entscheidende Machtposition: die Dienstplan-Erstellung. Ist das akribisch erarbeitete Papier fertig, beginnt schon die Nörgelei. Ivonne Kaiser würde gerne eine Spätschicht am Freitag loswerden. Da Kollege Klipstein zugleich ihr Freund ist, stehen die Chancen dafür nicht schlecht.

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