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Berlin: Amoklauf am Bahnhof: Prozess beginnt

Angeklagter muss sich wegen versuchten Mordes in 37 Fällen verantworten. Er sitzt seit der Tat in U-Haft

Zwischen den Stichen lagen zum Teil nur wenige Sekunden: Wegen versuchten Mordes in 37 Fällen muss sich ab heute der jugendliche Amokläufer vom Hauptbahnhof vor dem Landgericht verantworten. Laut Anklage hatte der damals 16-jährige Frank P. (Name geändert) nach der Eröffnungsfeier wahllos geschlagen, getreten und mit einem Klappmesser auf Passanten eingestochen, bevor er etwa 25 Minuten später vor Sicherheitsleuten gestoppt werden konnte.

Zur Feier am 26. Mai vergangenen Jahres waren mehr als 500 000 Besucher aufs Areal am Spreebogen gekommen. Eine nächtliche Lasershow bildete den glanzvollen Abschluss. Der Neuköllner Frank P. hatte sich da von den Freunden, mit denen er zunächst zusammen war, getrennt. Schlagend soll er sich durch die Menge gekämpft haben. Bis er am Reichstag um etwa 23.30 Uhr auf das erste Opfer einstach. Im Zickzack rannte er weiter durchs Regierungsviertel. Bis sein Amoklauf um etwa 23.50 Uhr am Kapelle-Ufer beendet werden konnte.

31 Menschen erlitten Schnitt- oder Stichverletzungen am Oberkörper, zwei wurden am Oberschenkel getroffen. Bei drei Passanten drang das Messer nicht durch die Kleidung, bei einer Frau prallte es an einem Kettenanhänger ab. Für acht Verletzte bestand nach Stichen in Bauch, Lunge oder Niere akute Lebensgefahr. Jüngstes Opfer war eine 14-jährige Schülerin, die am Rücken getroffen wurde. Kaum hatten die Verletzten den ersten Schock überstanden, wurden sie mit einer unheimlichen Bedrohung konfrontiert: Eines der Opfer leidet an der Immunschwäche Aids. Nach dem Angriff auf den erkrankten Mann soll Frank P. noch mindestens 15 weitere Menschen verletzt haben. Monatelang schwebten die Opfer in der Angst, ebenfalls mit dem HI-Virus infiziert worden zu sein. Es sei nicht zu Ansteckungen gekommen, hieß es im Vorfeld des Prozesses.

Frank P. sitzt seit der furchtbaren Nacht in Untersuchungshaft. Er soll erheblich angetrunken gewesen sein. In ersten Vernehmungen berief er sich auf fehlende Erinnerungen wegen eines „Blackouts“. Sein Verteidiger verlas wenige Tage nach dem Amoklauf im Fernsehen eine Entschuldigung seines Mandanten. Als ein Geständnis aber wollte der Anwalt das nicht gewertet haben. Der Jugendliche könne die Vorwürfe gar nicht einräumen, „weil ihm alkoholbedingt die Erinnerung an die Tatzeit fehlt“, erklärte der Verteidiger.

Der Schüler lebte mit seinem Vater und zwei von sechs Geschwistern in einem Neuköllner Mehrfamilienhaus. Die Polizei kannte ihn bis zu jener Nacht nicht als Schwerkriminellen. In der Schule allerdings soll es mehrfach Probleme mit ihm gegeben haben. Nichts aber habe auf einen solchen Ausraster gedeutet, waren sich Lehrer, Familie und Freunde von Frank P. einig. Welchen Einfluss Alkohol spielte, sollen Gutachter im Prozess klären.

Die Verhandlung läuft wegen des jugendlichen Alters des Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Kerstin Gehrke

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