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Berlin: An Warnungen vor der Schuldenfalle war kein Mangel Schon seit mehr als zehn Jahren Ermahnungen zu massivem Sparen

Sage heute niemand, er habe von nichts gewusst! Schon am 18.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Sage heute niemand, er habe von nichts gewusst! Schon am 18. Juni 1991 schrieb der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) in einem Brief an den parlamentarischen Hauptausschuss: „Es ist zwingend erforderlich, die Finanzpolitik Berlins neu zu ordnen, damit die Nettoneuverschuldung auf eine Größenordnung zurückgeführt werden kann, die die Finanzkraft der Stadt nicht überfordert.“ Im September 1993 warnte der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses – in einem Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Landeshaushalts – vor einem „Schuldensockel, der den finanziellen Handlungsspielraum des Staates dauerhaft beeinträchtigt“. Im selben Jahr rief der ehemalige Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) den Genossen auf einem Landesparteitag zu: „Wenn nach dem Länderfinanzausgleich und den Bundesergänzungszuweisungen zwischen vier und acht Milliarden Mark fehlen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Ausgaben einzuschränken.“ Meisner erinnerte an Bremen und das Saarland, denen das Bundesverfassungsgericht gerade erst Hilfen des Bundes zugesprochen hatte: „Die Lage Berlins ist nur unwesentlich besser.“ Im Haushaltsgesetz 1993 war von einer „andauernden äußerst angespannten Finanzlage“ die Rede. Aber noch nicht vom extremen Haushaltsnotstand.

Die Grünen wollten damals gegen die drastische Kürzung der Bundeshilfe klagen, die Berlin bis zur Einbeziehung in den Länderfinanzausgleich (ab 1995) gewährt wurde. Aber der Gutachter, Rechtsanwalt Klaus Groth, war skeptisch. Berlin müsse dann beweisen, dass es gegenüber den finanzschwachen Bundesländern im Westen ungleich behandelt werde und darlegen, welche Sonderlasten die Stadt im Vergleich zu den ostdeutschen Ländern trage. Eine Sonderrolle als Hauptstadt sei nicht einklagbar. 1994 schlug dann das Wirtschaftsinstitut Prognos Alarm. Wenn der Senat sich nicht von teuren Investitionsvorhaben verabschiede, werde die Stadt spätestens 1999 jeden finanzpolitischen Spielraum verlieren. Trotz solcher Warnungen hielt die Große Koalition an überdimensionierten Projekten fest; für „Olympia 2000“ wurden neun Milliarden Mark im Voraus freigegeben, die Ostgehälter der öffentlich Bediensteten an die Westgehälter angepasst und ein Konzept für den Neubau von 400 000 Wohnungen vorgelegt.

Seit 1992 schoss die öffentliche Verschuldung steil nach oben. Wegen des massiven und schnellen Abbaus der Bundeshilfe und Berlinförderung, aber auch wegen hausgemachter Fehler. Und die Erwartung stetig steigender Steuereinnahmen erfüllte sich nicht. Erst 1995, als Annette Fugmann-Heesing Finanzsenatorin wurde, zog der schwarz-rote Senat die Notbremse. In die Finanzplanung 1996-2000 wurde erstmals hineingeschrieben: „Ohne ein energisches Gegensteuern besteht die akute Gefahr, dass Berlin in eine aus eigener Kraft nicht mehr beherrschbare Haushaltsnotlage gerät.“

Der Rechnungshof beschwor ein Jahr später ebenfalls „die Gefahr einer extremen Haushaltsnotlage“ herauf. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kam 1999 zu dem Schluss: „Trotz aller Konsolidierungserfolge wird Berlin seine Finanzprobleme nicht alleine lösen können.“ Parteien, Gewerkschaften, Unternehmensverbände schlossen sich dieser Einschätzung peu à peu an. Es blieb aber Rot-Rot überlassen, Anfang 2002 den „Gang vor das Bundesverfassungsgericht“ in der Koalitionsvereinbarung einigermaßen verbindlich anzukündigen.

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