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Berlin: Andalusien im Pfefferberg

Zum Flamencofestival in Prenzlauer Berg kommen die Tänzer aus ganz Europa, um Lehrer wie „El Torombo

Von Deike Diening

„Gehen Sie einfach dem Krach nach“, hatte die Pförtnerin gesagt. Und wirklich, eine übende Flamencotruppe findet man überall, sie ist nicht zu überhören. Selbst auf den verästelten Gängen der Volksbühne nicht, wo derzeit eine spanischen Legende probt: „El Torombo“, der andalusische Flamencotänzer, hält im Ballettsaal am Rosa-Luxemburg-Platz einen Workshop mit Profitänzern ab. Er macht das in Berlin, weil hier ein Flamencofestival läuft. Und weil das für alle mehr bedeutet, als abendlich aufzutreten.

Wie um zu prüfen, ob der Berliner Boden trägt, jagt die Legende ihre Absätze zweimal heftig hinein. Torombo tanzt jetzt vor, was er von seinen Schülern sehen will. Der Oberkörper bleibt ruhig, darunter züngeln die knallroten Stiefel wie Flammen aus seinen Hosenbeinen. „E todos!“ – und alle! – und dann knallen mehr als 20 Beine wie Schüsse in den Boden, synchron, im Gleichschritt. Der Boden zittert. So, denkt man, stürzen Brücken ein.

El Torombo wohnt in Sevilla. Er tanzt und lehrt „puren“ Flamenco. Mit kastagnettenklappernder Touristenbelustigung hat das nichts zu tun. So wie das ganze Festival im Pfefferberg an den Klischees, die ausgreifend sind wie spanische Röcke, nicht interessiert ist, sondern so viele Richtungen vertritt, dass man sich fast verirren kann.

Denn das Festival im Pfefferberg ist in seinem siebten Jahr zu einer internationalen Größe geworden. Und das liegt auch an dem Ort. Denn anders als in Düsseldorf oder Freiburg, wo jährlich die anderen beiden deutschen Festivals stattfinden, kommt die Situation in der alten Brauerei am Senefelder Platz sehr nahe an die andalusische „Ursituation“ des Flamenco heran: Es findet im Freien statt, unter Bäumen, der Hof schafft eine geschlossene, intime Atmosphäre. Und da gehört er hin, der Flamenco, den die Zigeuner erfanden und der in seiner puristischen Form nur aus einem Tänzer, dem Gitarristen, dem Sänger und den „palmas“, den klatschenden Handflächen, besteht.

Als Antje Herber, künstlerische Leiterin des Festivals und selbst Tänzerin, vor sieben Jahren Lust auf Flamenco hatte, da hat sie zum ersten Mal ein paar Tänzer im Pfefferberg versammelt. Damals waren das vor allem Berliner, die dort ihre Übungsräume hatten. Von einer Szene zu sprechen, wäre übertrieben. Dass das jetzt anders ist, liegt auch daran, dass Berliner Tänzer wie Antje Herber nach Andalusien reisten, um sich dort ihre Lehrer zu suchen. Einige sind wieder zurückgekehrt, haben Schulen eröffnet, und heute kommen die spanischen Tänzer zum Festival nach Berlin. Der Lehrer, den Antje Herber in Sevilla fand, hieß „El Torombo".

Der zieht sich gerade mit der rechten Hand das Hosenbein hoch, damit alle seine Fußarbeit sehen. In der linken hält er den Stock, mit dem er den Takt fordernd auf den Boden schlägt. Das Trinkwasser zittert in den Flaschen. Die Stühle zittern auch. Torombo brüllt, Torombo flüstert, er ruft und er schlägt mit dem Stock.

Der Schweiß läuft den Frauen die Rückendekolletees entlang. Es sind viele Frauen, die hier lernen, viel mehr als Männer.

Männer sind in Spanien die wahren Flamenco-Legenden. Das Wissen über die alten andalusischen Tänze besteht fort in Clans, die je ihren eigenen Stil herausbilden. Und ihre Oberhäupter sind Männer, sie heißen Farruco, Mario Maya, Camaron oder Tomatito. Wie Torombo sind es sentimentale Patriarchen, denen die Familie alles bedeutet. Das kommt noch von den Zigeunern, wo der Tanz ja herstammt. Das muss man wissen. Die Hoffnungen der Väter stecken dann in den Schuhen der Söhne und Töchter, irgendwo da unten im Absatz. Und manchmal, sagt Torombo, werden ihnen auch die Schüler wie zu eigenen Kindern.

Viele, das hatte Antje Herder erzählt, halten den „puren“ Flamenco, wie ihn El Torombo tanzt, für langweilig. Eben weil er eigentlich nichts neu kombiniert, sich inhaltlich nicht fortentwickelt, immer emotional ist und niemals intellektuell. Aber es geht hier gar nicht um das Neue, sondern darum, Präsenz und Intensität herzustellen. Es geht um nichts Geringeres, als einen Ausdruck zu finden für das ganze Leben. Auf diesen Ausdruck verwenden Tänzer wie Torombo ihre ganze Kraft. Und Torombos Kraft ist ungeheuer. Man könnte sagen, er beherrscht seine Gruppe, aber eher spielt er mit ihnen, wie ein Dirigent, der mit seinem Orchester verwächst. Er kommuniziert mit Fingerzeigen, Armbewegungen und dem Taktstock.

Seine Schüler, das sind die Tänzer der anderen Gruppen des Festivals, die selbst auf der Bühne stehen: Marta Debska zum Beispiel, von „Los Payos“, der Gruppe aus Warschau. Nur die Folklore, die gibt es hier nicht zu sehen. In den Workshops nehmen die einen beim anderen Unterricht. Und sie tanzen gut, besser als sonst, herausgefordert.

Das glaubt man ihren leuchtenden Gesichtern abzulesen. Womöglich tanzen sie so gut, wie sie noch nie waren, als El Torombo herumgeht mit seinem Stock und einen nach dem anderen auffordert. Auch El Torombo spart nicht mit seinen Kräften. Und zum Schluss singt er für seine Schüler, die es ihm mit rhythmischen Tritten danken.

Endlich zieht er die roten Stiefeletten aus, die weißen Frotteesocken und setzt sich auf einen Stuhl. Was macht einen überragenden Flamencotänzer aus? „Ohne Großherzigkeit gibt es keinen Flamenco“, sagt er. Darauf komme es an, Geduld, Liebe und Respekt. In dieser Reihenfolge. Und dann ist die Figur des Lehrers wichtig, „denn die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist wie zwischen Eltern und Kind. Man sieht es aufwachsen, sich entwickeln. Man gießt und man päppelt.“ Und so sieht sich Torombo als Teil einer größeren Sache, die durch ihn fortbesteht. Das ist manchmal so anstrengend, dass ihm die Haare an der Stirn kleben.

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