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Berlin: Andreas Moratz (Geb. 1967)

Autos hat er nie geknackt, die waren ihm zu klein.

Er ist gern Bagger gefahren. Nicht die kleinen Spielzeugbagger, die großen, die ganz großen. Den ersten hat er gekapert, da war er kaum zwanzig. Auf einer Baustelle hat er ihn geknackt und fuhr damit quer durch Steglitz. Damals kam er noch glimpflich davon. Die zweite Aktion, Jahre später, da ging es von Marienfelde nach Mariendorf. Unterwegs hat er noch Halt gemacht bei seinem besten Kumpel David, den hat er gefragt, ob er ’ne Strecke mitfahren will. Und dann ist er abgerauscht in die Nacht. Tankfüllung 3,5 Promille.

Autos hat er nie geknackt, die waren ihm zu klein, da war kein Ehrgeiz, das haben seine Kumpels gemacht. Er hatte ja auch keinen Führerschein.

Fürs Angeln hatte er einen Schein, allerdings waren die Marken darauf gefälscht. Den Fischen ist es egal, wird er sich gedacht haben.

Das war so eine typische Aktion. Oder die Sache mit dem Fahrschein. „Willst du mir nich’ die Monatskarte abkaufen?“, hat er seinen Kumpel aus Kindertagen gefragt. „Aber pass auf, wenn du sie benutzt!“ Nicht unwichtig die Warnung, denn er hatte die Karte eigenhändig gefälscht.

Mit den Händen war er zuweilen gar nicht ungeschickt. Die Malerlehre hat er dennoch abgebrochen. Zuvor schon die Schule geschmissen, zu stressig das alles, das Leben wartete ja.

„Don’t stop me now!“, seine Hymne.

Mit dreizehn fing er das Saufen an. Später kam dann alles so an Drogen dazu, was auf dem Markt war. Nur gespritzt hat er nicht, da hatte er Angst vor.

Andi hat viel Scheiß gebaut in seinem Leben, das wusste er selbst am besten. Dabei beließ er es dann aber auch. Wirklicher Handlungsbedarf war nicht. Er kam immer gut durch. Vor allem dank der Frauen, die haben seinen Lausbubencharme gemocht, schon von klein auf – eine ausgenommen, seine Mutter. Vielleicht hat er deshalb seine erste Freundin zur Abtreibung gezwungen. Er wollte keine Kinder, keine Verantwortung. Sein Zuhause war immer irgendwo anders.

Schade nur, dass er sich seine Freunde nicht so clever ausgesucht hat wie seine Frauen.

David ausgenommen, der brachte ihn sogar mal zwei Jahre vom Trinken weg. Bis dann wieder der Falsche an der Tür klingelte.

Sein Traum? Auswandern nach Spanien – vierzehn Tage dauerte der Traum, dann hat ihn ein Kumpel übers Ohr gehauen und sein Konto leergeräumt.

Aber der größte Verlust in seinem Leben war ein anderer: Eine Ladenwohnung irgendwo in Neukölln, das war sein erstes Zuhause. Mutter und Vater geschieden. Mit drei Jahren wurden er und seine Schwester ins Heim gegeben. Hänsel und Gretel, Bruder und Schwester, unzertrennlich, weil sie wussten, es gibt keinen Weg zurück.

Einmal kam sie noch ins Heim, die Mutter; als dann der nächste Besuch anstand, hatte sie kein Fahrgeld, und die Kinder kamen zu ihr. Bei der Gelegenheit erklärte sie ihnen, dass von nun an das Heim ihr Zuhause bleiben würde. Als sie starb, und er zur Beerdigung gehen sollte, meinte er nur: „Ick kenn’se nich, warum soll ick hingehn?“ Da war er zwanzig.

Vor zwei Jahren wurde Andi frühverrentet.

Milzriss. Ein Kumpel hatte ihn zusammengeschlagen, es ging um eins seiner Spielzeuge, eine Knarre. Von da an lief nicht mehr viel. Er ist nicht mehr angeln gegangen, hat kaum noch Freunde getroffen. Er hatte mit nichts und niemand Geduld mehr, schon gar nicht mit sich selbst. Wenn es eilig war, hat er die DVD auch schon mal mit dem Messer aus dem Schacht geholt.

Heiligabend ist er aus dem Krankenhaus getürmt, weil er nicht rauchen durfte. Die Polizei brachte ihn wieder rein, er unterschrieb, dass er auf eigene Verantwortung wieder rausdurfte. Er wollte nicht sterben wie Petra, seine große Liebe, die an den Schläuchen hing, als er sie verabschiedete. Andi starb daheim, bei seiner Schwester. Zuletzt doch ein ruhiges Lächeln im Gesicht, denn er war sich sicher, er würde bei Petra unterkommen. Gregor Eisenhauer

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