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Berlin: Angebissen

Alles so apple hier. Schön bunt, schön neu und ganz schön teuer. Wieder haben sie tagelang campiert am Ku’damm. Wofür nur? Ein Blick hinter die glatte Fassade.

Diese Facebook-Seite mit den SS-Runen sei ja eher witzig gemeint, sagt Phil, ein 22 Jahre alter Junge aus Hellersdorf, am Freitagmorgen vor dem Apple-Store am Ku’damm. Und die Facebookseite der Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf findet er wirklich gut, ganz ohne Witz. Und diese andere Seite, auf der die ehemaligen deutschen Gebiete in Pommern, Schlesien und Ostpreußen ebenso hochgehalten werden wie der kürzlich verstorbene NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke? Die findet er auch gut.

Am Dienstag hatte er sich mit Klappstuhl und zwei Sixpacks Bier, aber ohne Zahnbürste, vor den Apple-Store gesetzt: Der Erste in der Warteschlange für das neue iPad, das gestern erstmalig verkauft wurde. Und dann kam ein Reporter von der BZ, weil der Erste in der Warteschlange immer in die Zeitung kommt und in seinem Artikel verwies er auf die Facebookseite des 22-Jährigen. Und dann – Tücken des Internets – guckte sich irgendwer Phils Facebookseite an, und ein anderer schrieb bei Twitter, dass da ein Nazi vor dem Apple-Store hockt, und Phil hatte Sorge, dass nachts einer kommt und ihm eins auf die Nase gibt. Und nun ist es Freitagmorgen kurz nach sechs und die Nase heil – Glück gehabt.

Stimmung also super vor dem Laden, und der Bombenalarm, der im Laufe des Morgens für eine gute Stunde den Verkehr und Verkauf lahmlegen wird, ist noch weit entfernt. Ansonsten Begeisterung allüberall, rund 150 Menschen stehen hier an. Weniger als erwartet, aber locker genug für gute Laune. Erst recht bei den Ladenbetreibern.

„Ich mach meinen Job gerne, die machen ihren Job gerne, alle machen ihren Job gerne“, wird ein Apple-Sprecher später sagen, was natürlich – glaubt man einschlägigen Umfragen in Sachen Jobzufriedenheit – eine faustdicke Lüge ist, aber es ist egal, angesichts so offensiv vorgetragener Ausgelassenheit.

An der mit Sicherheitspersonal abgesperrten Tür werden die Kunden von blau gekleideten Beschäftigten in Empfang genommen, ein Händedruck für jeden und die direkte Ansprache, „Hi, ich bin Jacob. Wie heißt du?“, die Frage des Angestellten. Nach Jacob kommt Micha, dann Jan, dann einer mit grellorangefarbenen Schuhen, dann ein Tätowierter mit Nasenpiercing, und dann Ben, aber der macht einen Fehler: „Na, Ben, wo ist denn dein Lächeln?“, bemängelt Manager René das Mienenspiel – und dann geht’s wieder.

Nach Dienstschluss hingegen scheint die Stimmung in der Belegschaft mitunter nicht so gut zu sein. Schon vor einem Jahr war aus anderen Apple-Stores von per Stoppuhr kontrollierten Pinkelpausen zu lesen, von einem Kollegen, der eine Abmahnung kassierte, weil er in Anwesenheit eines Chefs gegähnt haben soll. Und auch die Bezahlung sei eher mau: „Seit ich für Apple arbeite, kann ich mir die Produkte nicht mehr leisten“, sei ein Witz unter Beschäftigten, berichtete damals der „Spiegel“.

Aber Apple ist längst mehr als irgendein Elektroladen. Wer hier einkauft, in dem etwa turnhallengroßen Raum mit den wie Trophäen ausgestellten Geräten auf Holztischen, der buddelt am Quell der guten Laune, szenebewusst, abgeklärt.

Der Apple-Store ein paar Tage zuvor, Sonnabend vergangene Woche: Bandpräsentation. In der oberen Etage sitzt ein Moderator und die Band Chvrches, modischer Elektro-Pop aus Schottland. Außerdem etwa sechzig Zuhörer, freier Eintritt, aber jeder, der hier sitzt, muss damit rechnen, aufgenommen zu werden. Später einmal wird vielleicht ein Podcast daraus entstehen. Oder ein Werbespot. Oder irgendetwas anderes. Was hingegen schon festzustehen scheint: Die Erstausstrahlung des Materials wird in den Abendstunden erfolgen. Wie sonst wäre zu erklären, dass die Dame zur Begrüßung mehrfach einen schönen guten Abend wünscht und dass man „tonight“ eine ganz prächtige Band im Interview anhören kann.

„Tonight“ ist in dem Fall 14 Uhr, aber eigentlich ist auch das egal. Denn wer Hunderte von Menschen dazu bewegen kann, sich nachts für neue Telefone oder Computer die Beine in den Bauch zu stehen, der kann natürlich auch bestimmen, wie spät es ist. Das Interview plätschert langsam aus, dann darf das Publikum Fragen stellen, und es dauert nicht lange, dann meldet sich ein zivil gekleideter Junge aus dem Publikum und hat eine Frage. Selbstredend gehe er davon aus, dass die Band in ihrem Schaffen auf die segensreiche Wirkung diverser Apple-Produkte zurückgreife, und da wolle er sich mal erkundigen, was für Geräte das so seien. Und tatsächlich ist auch dieser Versuch nicht zu billig, tatsächlich bekommt er eine Antwort, und damit wäre auch alles gesagt zum Verhältnis von Popmusik und Dissidenz im Allgemeinen und zur Band Chvrches im Speziellen.

Phil aus Hellersdorf dürfte das egal sein. Nach siebzig Stunden Warten: Acht Uhr morgens, großes Brimborium, die Blaugekleideten stehen Spalier an der Pforte, ein jubelnder Mob. „Ich will auch einmal ganz vorne stehen“, sagt Phil, und das dürfte der ehrlichste Satz des Tages sein. Und dann geht die Tür auf und Phil hinein. Wieder einer weg von der Straße. Geht doch.

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