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Berlin: Angeklagt als „U“ wie Unbekannt

Räuber verschwieg Identität aus Angst vor Klatsch in seinem Dorf

Der Räuber war geschnappt – und blieb unbekannt. Er zeigte er sich geständig, doch seine Identität verriet er nicht. Vernehmungsprotokolle unterzeichnete er zwar, aber nur mit drei Kreuzen. So kam es zu einer höchst seltenen Anklageschrift, die statt mit den Personalien des Angeklagten mit seinem Foto beginnt. Es handele sich um eine „männliche Person, offenbar Deutscher, ca. 35 - 45 Jahre, offenbar nicht aus Berlin (Aussprache)“. Der Fall kam gestern vor die 22. Große Strafkammer des Landgerichts. Sie nämlich ist für n mit „U“ zuständig – wie unbekannt.

Kurz vor Beginn des Prozesses fuhr der Verteidiger schweres Geschütz auf. Das „Spielchen“ mit der verschwiegenen Identität habe seine Gründe. Die Existenz des Mannes stehe auf dem Spiel. Die Sache wurde immer geheimnisvoller. Dabei ging es um einen Überfall, der alles andere als raffiniert eingefädelt schien. Der Räuber war am 25. Juni angetrunken in einem Waffengeschäft am Kurfürstendamm aufgetaucht. Er ließ sich ein Jagdmesser für 158 Euro zeigen. Als er das Messer bezahlen sollte, rief er plötzlich: „Das ist ein Raubüberfall!“ Er fuchtelte bedrohlich mit dem Messer herum und verletzte einen Mann leicht am Daumen. Im Geschäft wehrte man sich mit Pfefferspray. Die Flucht des Räubers endete an der nächsten Ecke.

Zehn Wochen saß der Täter in der U-Haft. Er war unauffällig, bemühte sich um Arbeit. Doch seinen Namen nannte er nicht. Kurz vor dem Prozess überlegte er es sich doch anders. Sein Anwalt hatte ihm klargemacht: Ohne Preisgabe der Identität kommt eine Bewährungsstrafe nicht in Frage. Aus demUnbekannten wurde Hans B., 44 Jahre alt, Bürokaufmann, wohnhaft im Westfälischen. „Ich wollte unbedingt verhindern, dass die Leute aus meinem Dorf wissen, was passiert ist“, erklärte er vor Gericht. Er habe sich auch vor seiner Familie, vor allem seinem Vater geschämt. Im Juni sei er in Berlin gewesen, um sich die Stadt anzusehen. Nach einer Kneipentour dann der Überfall. Mit einem ratlosen Schulterzucken meinte Hans B.: „Was das sollte, weiß ich auch nicht.“

Zu Tage kam auch eine zweite Besonderheit: Hans B., der jahrzehntelang für die Justiz unauffällig war, fürchtet Klatsch und Tratsch so sehr, dass er sogar den Verlust seiner Arbeit vor zwei Jahren geheim hielt. Richter Peter Faust hat in Prozessen gegen Unbekannt die Erfahrung gemacht: „Es sind oft Leute, die sich schämen.“ Der bislang unbescholtene Westfale kam mit einem blauen Auge davon: zwei Jahre Haft auf Bewährung verhängte das Gericht. Zuvor hatte B. noch versprochen, dass er seiner noch immer ahnungslosen Familie alles beichten wird. Kerstin Gehrke

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