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Berlin: Angezettelte Geschichten

Sechs Zigaretten, Tatü und eine Banane: Aus Einkaufslisten lassen sich tatsächlich ganze Romane spinnen. Die Ärztin Sabine Knauf hat daraus ein Bilderbuch gemacht

Hach, da liegt was. Vielleicht ein verlorener Einkaufszettel? Bisschen verstaubt schon von den vielen Füßen, die am U-Bahneingang Gneisenaustraße drüber getrampelt sind. Festes Papier, exakt gefaltet und – Anfängerglück! – drinnen steht untereinander in leicht verkrakelter Kulischrift: Locher, Stiefte, Sachen, Jacke. Wie jetzt – Sachen? Könnte ja alles sein. Lustig. Und rätselhaft. Schon rattern im Hirn die Assoziationen los.

Nur zehn von hundert Zetteln sind so gut, wertet Sabine Knauf den Zufallsfund kurz darauf beim Treffen am Marheinekeplatz. „Sachen“, wiederholt sie erfreut, „toll.“ Dazu lässt sich prima fantasieren.

In kleinen Dingen Geschichten sehen, das fasziniert die Ärztin und Illustratorin, die vorher gerne schönen Alltagsmüll wie verlorene Socken im Sand oder Zigarettenstummelgruppen fotografiert hat. Aus ihrer seit 2004 lodernden Leidenschaft für weggeworfene Einkaufszettel und ihre Geschichten hat sie jetzt ihr drittes Bilderbuch gemacht.

„Badeschaum und Shrimps – Einkaufszettel aus Berlin“ zeigt die mit Schere, Papier und Zeichenstift zu assoziativen Collagen aufbereiteten Zettel. Witzige, merkwürdige, multinationale Papierfetzchen sind das. Und weil Sabine Knauf zwar Gekritzel übersetzt, ausländische und einheimische Vokabeln wie „Bollenpiepen“ (Lauch auf Berlinerisch) aufklärt, aber sonst lieber abbildet als groß zu erklären, häufen sich auf den knapp 100 Seiten jede Menge Fragen.

Wie geht es bei Leuten zu, die genau sechs Zigaretten, eine Banane, achteckiges Eis, Scherensortimente, Champou, Eia, eine Gurke saua, Bauchwehtee, Tatü und Angelspiel, aber keinen Alkohol kaufen? Ja, genau, auf manchen Einkaufslisten steht schön paradox, was nicht gekauft werden soll. Andere warten dafür mit Zusatzinfos wie „Dienstag Heidi“, „essen wir am Freitag“ und „was Sie für richtig halten“ auf. Abkürzungen wie „Tatü“ dürften den Taschentüchern gelten.

Der Literat und Philosoph Umberto Eco, ein erklärter Freund des Einkaufszettels, definiert den Menschen als „Tier, das planvoll vorgeht“ und deswegen als einziges Lebewesen Zettel und Listen schreibt. Sein letztes Jahr erschienenes Buch „Die unendliche Liste“ (Hanser) schlägt die vermeintlich banale Gedächtnisstütze Einkaufszettel zwar nicht zu den „poetischen Listen“, die schon Homer in der „Ilias“ als Stilmittel verwandte, aber immerhin zu den „praktischen Listen“ wie Kataloge oder Speisekarten. „Auf ihre Weise auch Kulturleistungen“, sagt Eco, für den der Zettel ein Versuch ist, das unendliche Chaos der Welt zu ordnen.

Begonnen hat die Zettelwirtschaft von Sabine Knauf, die ihre ersten Bildergeschichten schon als Kind gezeichnet hat, mit Langeweile in der Kassenschlange. Weil’s nichts zu lesen gab, las die 58 Jahre alte Intensivmedizinerin drei Einkaufszettel, die im Wagen lagen – auf Deutsch, Arabisch und Türkisch, zwei davon sind jetzt – Jahre später – im Zettelbuch gelandet. „Die ganze Welt scheint in ihnen auf“, sagt sie und staunt laut darüber, dass es im Kreuzberger Mikrokosmos Menschen gibt, die ihre Einkäufe auf Kroatisch, Griechisch, Kreolisch oder Suaheli notieren. Ihren eigenen Einkaufszettel schreibt sie auf Deutsch. Abkürzungen, Vorlieben, Mengenangaben – wie fällt der aus? „Langweilig.“ Was kann man daraus über sie ablesen? „Nichts.“

Badeschaum und Shrimps - Einkaufszettel aus Berlin, Berlin Story Verlag, 10 Euro

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