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Nach einer Prügelattacke am S-Bahnhof Grünbergallee starb ein 72-Jähriger. Der Täter wurde nun geschnappt.

© Kai-Uwe Heinrich

Update

Angriff am S-Bahnhof Grünbergallee in Berlin: Mutmaßlicher Totschläger festgenommen - Haftbefehl erlassen

Ein 72-Jähriger starb nach Faustschlägen am S-Bahnhof Grünbergallee in Berlin-Bohnsdorf. Jetzt hat die Polizei einen 39-jährigen Tatverdächtigen festgenommen. Ein Besuch vor Ort.

Von Sandra Dassler

„Ich bin wirklich richtig erleichtert“, sagt die ältere Dame, die mit ihrem Rollator neben dem Einkaufsmarkt am S-Bahnhof Grünbergallee in Bohnsdorf steht: „Abends gehe ich ja schon lange nicht mehr allein hier lang. Am Tage habe ich mich aber immer sicher gefühlt – bis das jetzt mit dem 72-Jährigen passierte. Gut, dass die Polizei den Täter gefasst hat.“

Bohnsdorf liegt im Bezirk Treptow-Köpenick, ganz im Süden Berlins. Der S-Bahnhof Grünbergallee ist der letzte vor dem Flughafen Schönefeld, etwa zur gleichen Zeit gebaut, großzügig mit Treppen und Rollstuhlrampen ausgestattet. Hier soll ein 39-jähriger Mann vor zwölf Tagen den Tod eines 72-jährigen Berliners verursacht haben. Am Sonntag teilte die Polizei mit, dass tags zuvor ein Tatverdächtiger festgenommen wurde.

Der 72-Jährige wollte nur einkaufen

Er habe gestanden, mit seinem Rad in der Unterführung zum S-Bahnhof mit dem späteren Opfer zusammengeprallt zu sein. Es habe sich „ein verbaler Streit entwickelt, der eskalierte“. Wie oft der Tatverdächtige zugeschlagen hat, ist unklar. Der Rentner stürzte jedenfalls und zog sich dabei so schwere Kopfverletzungen zu, dass er am vergangenen Montag im Krankenhaus starb.

Der 72-Jährige, dessen Bild die Polizei zwar für die Fahndung verwendete, dessen Identität sie aber auf Wunsch der Angehörigen nicht preisgab, wollte nur einkaufen. „Er war hier Stammkunde“, sagt eine junge Kassiererin im Einkaufsmarkt: „Viele von uns kannten ihn, waren total geschockt, als wir das Foto auf dem Fahndungsplakat sahen.“ Der Einkaufsmarkt liegt direkt am S-Bahnhof Grünbergallee, nicht wenige Kunden kämen auch aus dem nur eine S-Bahn-Station entfernten Altglienicke, sagt der Filialleiter.

Überwachungskameras hängen nur am Bahnsteig

Auch der 72-Jährige wohnte in Altglienicke. Er hatte sich an jenem Mittwoch wahrscheinlich nur flüchtig von seiner Ehefrau verabschiedet, die immer noch unter Schock steht. „Wer denkt auch an so was, wenn der Mann nur mal kurz zum Einkaufen geht“, sagt ein Ermittler. Zwei Plastiktüten mit leeren Pfandflaschen hatte der Rentner bei sich, als er kurz vor 12 Uhr mittags in die S-Bahn stieg.

Nur etwa eine Minute und 45 Sekunden dauert die Fahrt von Altglienicke bis Grünbergallee und anfangs hatte die Polizei nicht ausgeschlossen, dass sich Opfer und Täter bereits in der Bahn begegneten. Dann hätte man sie auf den Überwachungskameras sehen können, die an den Ausgängen des S-Bahnsteigs Grünbergallee hängen, deren Aufnahmen aber bisher nicht gespeichert werden dürfen.

„Die Kameras sind eigentlich immer an“, sagt Annette R., eine 44-jährige Bohnsdorferin, die täglich mit der S-Bahn fährt: „Neulich sind ein paar Teenager auf dem Bahnsteig Rad gefahren, da kam sofort eine Lautsprecherdurchsage von der Leitstelle, dass das verboten ist.“

Verboten ist das Radfahren auch auf den Rollstuhlrampen in der S-Bahn-Unterführung, doch daran halten sich nicht alle. Dort gibt es im Gegensatz zum Bahnsteig auch keine Überwachungskameras. So waren die Ermittler auf die Aussagen einer Zeugin angewiesen, die am 6. August in der Nähe des Tatorts war. Sie hatte einen Streit mitbekommen, dann einen älteren Mann am Boden liegen und einen jüngeren, dunkel gekleideten Mann wegfahren sehen. Auf den Fahndungsplakaten – die Polizei hatte vor allem nach dem Tod des Rentners am vergangenen Montag intensiv nach dem Täter gesucht – war der Mann als schlank und etwa 1,85 Meter groß beschrieben worden. Zwar stimmte das angegebene Alter (zwischen 20 und 30 Jahren) nicht ganz, aber letztlich führten Hinweise aus der Bevölkerung zur Ergreifung des Täters.

'"Wie feige ist das denn?"

Der ist laut Polizei zum Teil geständig, bestritt aber während der Vernehmung eine Tötungsabsicht. Die Ermittler sprechen aber davon, dass er den 72-Jährigen regelrecht niedergeschlagen hat. „Das war kein kleiner Stoß, der zu einem unglücklichen Sturz führte.“ Gegen den Mann wurde nach einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft inzwischen Haftbefehl wegen Totschlags erlassen. Der 39-Jährige ist deutscher Staatsbürger, Bohnsdorfer und bislang nicht wegen Gewalttaten in Erscheinung getreten.

Die Gewalttat wurde am S-Bahnhof Grünbergallee verübt.
Die Gewalttat wurde am S-Bahnhof Grünbergallee verübt.

© Kai-Uwe Heinrich

„Trotzdem kann der nicht normal ticken“, sagt Kevin R., der mit seinem Fahrrad S-Bahnhof Grünbergallee steht: „So ’nen alten Mann zu schlagen – wie feige ist das denn?“ Kevin nimmt einen Schluck aus der Bierflasche. Er ist Ende 20 und meint zu wissen, wie es gewesen sein könnte: „Hier fahren viele mit dem Rad, aber auch mit Inlinern oder Boards“, sagt er: „Wenn dann jemand im Weg steht, vielleicht noch Stress macht und die sind bekifft oder betrunken, passiert es halt. Aber feige ist es trotzdem.“

Die Bohnsdorfer waren entsetzt

Bislang haben die Ermittler laut Polizei allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass der Tatverdächtige unter dem Einfluss von Drogen stand. „Die Kollegen der Mordkommission sind erst einmal erleichtert, dass der Fall geklärt werden konnte“, sagte ein Sprecher. Erleichtert sind auch die über die Tat entsetzten Bohnsdorfer. Der S-Bahntunnel wird nicht nur von Fahrgästen, sondern auch von Anwohnern benutzt, die zum Supermarkt und den Imbissläden beziehungsweise Wohnblocks auf der anderen Seite wollen. „Abends laufe ich da trotzdem nicht alleine lang“, sagt die Verkäuferin im Bäckerladen am Lebensmittelmarkt. Bei ihr hat der 72-Jährige oft Brötchen gekauft, manchmal auch Kuchen.

Am Tatort am S-Bahntunnel, direkt unter einem Fahndungsplakat, wurden in den vergangenen Tagen immer wieder Kerzen angezündet und Blumen niedergelegt. In einem Strauß steckt eine Karte. „Herzliches Beileid“ steht auf der Vorderseite. Wer da am Schmerz der Angehörigen Anteil nimmt, bleibt offen. Die Vorderseite der Karte ist nicht beschrieben.

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