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Berlin: Angriff der Blattfresser

Die Larven der Miniermotte bedrohen die Kastanien, der Kampf gegen die Schädlinge ist teuer/Pro und Contra: Soll es einen Not-Euro zur Rettung der Bäume geben?

Von Stefan Jacobs

Gartendirektor Michael Seiler erträgt den Anblick der Kastanienallee im Schlosspark Sanssouci kaum noch. Die Bäume verlieren ihr vorzeitig braun gewordenes Laub, das von den Larven der Miniermotte zerfressen wird. Teilweise fangen die Bäume jetzt an zu blühen. Diese „Notblüte“ wird sie weiter schwächen, so dass sie in wenigen Jahren absterben dürften, wenn die Motte nicht bekämpft wird – etwa durch die Beseitigung des alten Laubes, in dem die Larven überwintern, oder durch chemische Gegenmittel. „Wir würden alles anwenden, was erlaubt ist, um das Problem in den Griff zu bekommen“, sagt Seiler.

Nur ist nicht viel erlaubt, und alles, was helfen könnte, kostet Geld. In den letzten Wochen zeigen sich immer mehr Menschen bereit, den Bäumen zu helfen. Durch Handarbeit. Oder Spenden. Die Experten geben hilfsbereiten Privatleuten stets denselben Rat: Wer nur einen Kastanienbaum im Garten oder in der Straße hat, kann das Laub mitsamt den darin sitzenden Schädlingen bei der BSR loswerden, ohne sich zu ruinieren. Normale Laubsäcke kosten drei Euro. Am Freitag wurden bei einem Runden Tisch von Stadtentwicklungsverwaltung und BSR außerdem Sonderregelungen für „Mottenopfer“ beschlossen: Bei den Blätterfesten auf Betriebshöfen der Stadtreinigung (21 .9.: Lengeder Straße, Reinickendorf; 28. 9.: Ostpreußendamm, Lichterfelde; 5. 10.: Nobelstraße, Neukölln) sollen besonders gekennzeichnete Kastanien-Laubsäcke kostenlos verteilt werden. In der kommenden Woche will die BSR eine Telefonnummer einrichten, unter der Betroffene Hilfe anfordern können.

Die Beseitigung des Laubes halten Experten für die zurzeit sinnvollste Methode. Zum Beweis nehmen sie die sorgsam geharkten bayrischen Biergärten, in denen die Kastanienbäume oft noch besser aussehen als in Berlin, obwohl die Motte dort schon ein paar Jahre früher angekommen war.

Das Brandenburger Amt für Verbraucherschutz und Landwirtschaft empfiehlt „Kompostierung wie im Lehrbuch“, also das Laub mit einer mindestens zehn Zentimeter dicken Erdschicht zu bedecken. Nur: Wer harkt das Laub in Parks oder gar Wäldern zusammen? Auch Forstbehörden und Grünflächenämter wollen helfen, aber ihre Personalsituation gilt seit dem Orkan vom Juli als hoffnungslos, so dass Sonderschichten zum Harken kaum finanziert werden können.

Am Geld könnte auch die Hoffnung scheitern, die Kastanien mit der chemischen Keule retten zu können. Wirkstoffe gegen die Motte gibt es längst, aber Hersteller winken ab, weil die Genehmigungsverfahren Millionensummen verschlingen und die Firmen sich um ihr Image sorgen. Denn wenn ein gutmeinender Stadtmensch die Kastanien vor seiner Haustür nach dem Prinzip „Viel hilft viel“ einsprüht, könnte das Mittel beim nächsten Regenguss in der Kanalisation – oder im Grundwasser – ankommen und dort Probleme bereiten. Das ist in Berlin mit seinen Wasserschutzgebieten besonders kritisch. Und wenn derselbe Wirkstoff zufällig auch bei Getreide oder Mais eingesetzt wird, könnte das Mittel insgesamt in Verruf geraten und der Absatz einbrechen.

Das Besprühen von Straßenbäumen in Wohnvierteln verbietet sich nach Meinung aller Experten. Über die Wirksamkeit anderer Methoden, etwa von Injektionen oder Zusätzen im Gießwasser, sind die Fachleute uneins: „Gießen reicht nicht, denn die Konzentration, die in den Blättern ankommt, ist zu schwach. Also müsste gesprüht werden, was aber in der Stadt nicht geht“, heißt es im Berliner Umweltbundesamt. Im Biologischen Bundesamt in Braunschweig, das auch für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln verantwortlich ist, weiß man dagegen von wirksamen Injektionen gegen vielerlei Schädlinge. Allerdings bestätigt ein Sprecher des Amtes, dass kein Antrag auf Zulassung eines Mittels gegen die Kastanienfresser vorliege. Er empfiehlt, die ursprüngliche Heimat der Motte zu erforschen, die sich von Südosten her über ganz Mitteleuropa verbreitet hat. Denn da, woher die Motte stamme, dürfte sie auch natürliche Feinde haben. Diese sollten nach Deutschland importiert werden. Solange das nicht gelinge, helfe nur eines: Laubharken.

Mehr zur Miniermotte im Internet:

www.cameraria.de

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