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Berlin: Angst vor Abschiebung – und neue Hoffnung

Härtefallkommission kümmert sich jetzt um Familie mit sechs Kindern aus dem Kosovo

Am Ende sind sie dann Nummern auf kleinen, rosafarbenen Zetteln, alphabetisch sortiert in einem Holzkästchen, das hinter der Glasscheibe von Raum 017 im Eingangsbereich des Abschiebegefängnisses in Köpenick steht. Jeder Häftling hat so einen Zettel, er bedeutet, dass ein oft jahrelanger Kampf gegen das komplizierte Ausländergesetz verloren wurde, dass Berge von Anträgen, Ablehnungen, Widerrufen, Einsprüchen, Attesten, Gutachten, Empfehlungen umsonst ausgefüllt, geprüft, bestätigt, kopiert und abgeheftet wurden.

Zwei Mädchen stehen in der Kälte vor dem Tor, werden durch die Gegensprechanlage gefragt: „Na, haben wir denn auch Zeit und gute Laune mitgebracht?“ und sagen: „Ja.“ Das Gitter öffnet sich automatisch, die Mädchen gehen zwischen einer Mauer und einem natodrahtbewehrten Zaun hindurch zu einem grauen Flachbau. Das jüngere Mädchen trägt eine Plastiktüte mit Pullovern und selbst gebackener Pizza für Abaz Shigjeqi, ihren Vater.

Die Familie Shigjeqi mit ihren sechs Kindern soll, wie berichtet, in den Kosovo abgeschoben werden, obwohl sie seit elf Jahren in Berlin lebt. 1994 flüchteten sie vor den Übergriffen der serbischen Militärpolizei, vier der Kinder sind in Berlin zur Welt gekommen, die größeren gehen hier zur Schule. Die Shigjeqis sagen, dass sie in Kosovo keine Zukunft haben. Sie fürchten Racheakte. Sie hoffen auf die Härtefallkommission. Die hat gerade bestätigt, dass sie den Fall annimmt. Das neue Ausländergesetz, das seit 2005 gilt, verleiht den Härtefallkommissionen – in Berlin gab es früher schon so ein Gremium – mehr Kompetenzen. Sie können nach Prüfung empfehlen, dass in einzelnen Fällen auch ohne rechtliche Grundlage eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Kriterien dafür sind unter anderem: Sprachkenntnisse und Bemühen um Arbeit. Bis Mai soll die Prüfung des Falls Shigjeqi voraussichtlich dauern. So lange darf nicht abgeschoben werden. „Warum ist Vater trotzdem in Haft?“, fragen die Kinder. Der Anwalt hat die Freilassung beantragt.

Abaz Shigjeqi hat den rosa Zettel mit der Nummer 05/00067. Die Mädchen Bukurije und Beslinda haben ihre Schülerausweise gezeigt. „Na, wie alt sind wir denn?“, sagt der Wärter, der die Reihenfolge der Besuche verwaltet. Es ist der, der vorhin nach der guten Laune gefragt hat, und später wird er Bukurije, die nicht allein zur Toilette gehen mag, fragen, ob er mitkommen und abwischen soll. Bukurije ist 14, die Schwester ist 12. Man könnte netter zu ihnen sein.

Seit Jahresbeginn hat die Härtefallkommission 74 Fälle bei Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vorgelegt, 51 hat er akzeptiert, 23 abgelehnt. Eine positive Bilanz, wie er findet. Eva Weber von der Forschungsstelle Flucht und Migration sieht das anders. Die Schicksale, die von der Härtefallkommission vorgeschlagen werden, hätten ja schon alle ein „Nadelöhr“ passiert – nämlich die Kommission, in der auch Vertreter der Innenbehörde sitzen. Dass Körting das Votum kippen kann, findet Weber ganz schlimm.

Die Mädchen warten eine Stunde, es ist stickig, niemand hat seine Jacke ausgezogen. An den Wänden lehnen Plastiktüten, fast alle von Lidl, der Discounter hat eine Filiale ganz in der Nähe. Ein bärtiger Mann zieht immer neue Handys aus seinen Taschen, die in immer ausgefalleneren Melodien klingeln. Bukurije und Beslinda kichern. „Geht das auch leiser?“, fragt von draußen ein Beamter.

Der Besucherraum ist cremefarben gestrichen, an eine Wand sind Micky- Maus-Figuren gemalt, an die andere eine friesische Landschaft: Meer, Segelboot, Sand, Leuchtturm. Es gibt neun Plätze, je ein Tisch und vier Stühle, ein Besuch darf eine Stunde dauern.

Der Vater kommt, die Mädchen umarmen ihn kurz, sie zeigen den Brief des Anwalts mit der Haftbeschwerde. Abaz Shigjeqi, 36 Jahre alt, ist ein kräftiger Mann, er trägt Lederjacke und Armband. Er redet schnell und leise, er hat fast nur Fragen: Wann darf ich raus, warum wirft man mir jetzt vor, dass ich nie gearbeitet habe, und hat mir das früher verboten?

Er hat die Papiere dabei, die das alles beweisen sollen. In der Ablehnung für die Arbeitserlaubnis steht, dass der versprochene Stundenlohn von neun Euro unter den tariflichen Vorgaben liege.

Es ist so ruhig und friedlich, als säße man im Besucherraum eines Krankenhauses. Ein junges Paar küsst und umarmt sich fortwährend. Der Mann wird bald nach Bosnien abgeschoben, seine Eltern bleiben hier, die Freundin auch. Ihr Leben wird zerrissen. Auch so eine Tragödie. Der Wärter sitzt unter dem Leuchtturmgemälde und liest eine Illustrierte.

Als die Kinder nach einer Stunde gehen müssen, verschwindet der Vater hinter den Gitterstäben, und sein rosafarbenes Kärtchen wird wieder zurücksortiert.

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