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Berlin: Angst vor der Brüchigkeit des Friedens

Nach dem Anschlag auf die beiden Synagogen in Istanbul sahen die türkischen Blätter aus wie Sonderausgaben

GAZETELER RÜCKBLICK

Jeden Montag im Tagesspiegel: ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Zeitungen.

Alle türkischsprachigen Zeitungen zeigten sich am Sonntag angesichts der Bombenanschläge in Istanbul erschüttert. Auf ihren Titelseiten gab es nur ein Thema. „Blutiger Sonnabend“ (Türkiye), „Bomben zum Gebet“ (Hürriyet) oder einfach nur „Verflucht“ (Milliyet) stand in großen Buchstaben auf den bebilderten ersten Seiten der Blätter. Die bloßen Nachrichten ähnelten denen in den deutschen Zeitungen, aber die Sprache der Zeitungen – auch die Bildsprache – war eine andere. „20 unserer Landsleute starben, 302 sind verletzt“, berichtete die Hürriyet – und schloss die toten Juden demnach selbstverständlich als Landsleute ein.

Die unzähligen Bilder auf den Titelseiten führten dem Leser die Katastrophe deutlich vor Augen. Die Milliyet zeigte fast ganzseitig einen auf dem Boden hockenden Mann, dessen Gesicht vollkommen zerfetzt war. In der Hürriyet waren drei Aufnahmen zu sehen. Eine zeigte die zerstörte Straße, in der die große Neve-Shalom-Synagoge in Beyoglu steht. Auf der anderen großen Aufnahme war die völlig verwüstete Nakiye-Ergül-Straße im Stadtteil Sisli (gesprochen Schischli) zu sehen, mit Menschen darauf, die geschockt oder verletzt durch die Gegend eilen. Auf dem kleinen Foto rechts unten am Fuße dieser Aufnahme sah der Hürriyet-Leser eines der bekanntesten Bilder des 11. September. Darauf sieht man im Hintergrund die riesige Staubwolke der einstürzenden Zwillingstürme des World Trade Center und im Vordergrund Menschen, die in Panik davonrennen.

Die auflagenstarke Zeitung widmete dem Attentat insgesamt acht Seiten ihrer 34-seitigen Sonntagsausgabe. Aber auch die Tageszeitung Milliyet verwies auf ihrer Titelseite auf fünf weitere Seiten im Innenteil. Alle Blätter kommentierten das Thema und sprachen von ihren „Landsleuten“. „Das sind Bomben gegen den Frieden“, meinte die Türkiye. Die Hürriyet machte den von Terrorismus betroffenen Staaten Vorwürfe. „Solange die Staaten den Terror nicht ernsthaft bekämpfen, kann jedes Land eine Zielscheibe werden.“ Die Türkei dürfe jetzt nicht aufgeben. Sie müsse ihre ganze Kraft diesem Kampf widmen.

Die türkischen Fernsehsender brachten bereits am Sonnabendvormittag via Satellit die Bilder auch in die Berliner Wohnstuben. In der Türkei ereignete sich das Attentat um 9.30 Uhr, in Deutschland war es 8.30 Uhr. Die Türken – viele fasten im Augenblick – verließen um diese Zeit das Haus für den Wocheneinkauf, ohne Nachrichten zu schauen. In Kreuzberg waren dennoch viele informiert, weil ihnen Freunde und Bekannte, die sie unterwegs trafen, von dem schrecklichen Ereignis berichteten. Als jedoch die Fernsehsender immer mehr Detailaufnahmen zeigten (wie am 11. September), gab es am Abend kaum einen Türken, der nicht entsetzt war. „Ich habe abgerissene Gliedmaßen und zerfetzte Körper gesehen“, sagte zum Beispiel schockiert der türkischstämmige FDP-Politiker Mehmet Daimagüler auf der diesjährigen Herbstfeier der FDP-Friedrichhain-Kreuzberg am Abend.

Suzan Gülfirat

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