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Berlin: Angst vorm Abtauchen

Die Autofahrer lassen den Tiergartentunnel links liegen – und die Experten wissen nicht, wieso

Haben die Berliner Autofahrer Angst vor Fahrten in Unterführungen? Wagen sie sich ungern auf neue Straßen? Bleiben sie stattdessen lieber im vertrauten Stau stehen? Nach der Eröffnung des neuen Tiergartentunnels vor gut einer Woche stellen sich diese Fragen. Weit weniger Autofahrer als erwartet durchfahren die 2,4 Kilometer lange Nord-Süd-Verbindung. Statt des befürchteten Staus herrscht gähnende Leere an den Zufahrten. Ist das 390-Millionen-Euro-Projekt ein Flop? Hätte Berlin den Tunnel gar nicht gebraucht?

Die Planer zumindest bleiben ganz ruhig. Vielleicht fahren tatsächlich auch nach der Eingewöhnungsphase weniger als die erwarteten 50 000 Autos durch den Tunnel, sagen die Experten der Stadtentwicklungsverwaltung. Doch es würden auf jeden Fall mehr als derzeit, ist die Sprecherin der Verwaltung, Manuela Damianakis, überzeugt. „Die meisten Autofahrer bleiben zunächst auf eingefahrenen Routen.“ Man müsse ihnen Zeit lassen, sich umzustellen. Und in der Tat: Selbst Taxifahrer haben oft den Tunnel bei ihren Routen noch nicht im Kopf gespeichert. Gefragt, wie sie von der Potsdamer Straße in Tiergarten zum Kurt-Schumacher-Platz in Wedding fahren, sagten gleich mehrere Kutscher: „Über den Großen Stern“. Die Tunnelverbindung kannten sie zum Teil gar nicht.

Auch der Verkehrsexperte des ADAC, Jörg Becker, vermutet, dass die meisten Autofahrer die neuen Möglichkeiten noch nicht erkannt haben. Vielleicht seien die Autofahrer durch Warnungen vor Gefahren oder Staus vor der Eröffnung auch abgeschreckt, überlegt Becker. Der ADAC und die Verkehrsverwaltung hatten den Berlinern noch am Eröffnungstag geraten, erst einmal keine „Schnupperfahrten“ zu unternehmen, um keinen Stau zu provozieren. Zudem war mehrfach auf die komplizierte Verkehrsregelung im Tunnel hingewiesen worden, in dem die Zwischen-Einfahrten und -Ausfahrten jeweils über den linken Fahrstreifen erfolgen.

Jetzt rät der ADAC-Experte gar, den Tiergartentunnel zu erkunden. Dass Autofahrer, die die Röhren einmal durchfahren haben, die Unterführung meiden, weil sie ihnen zu unübersichtlich erscheint, hält Becker für ausgeschlossen.

Er glaubt auch nicht, dass sich Berliner Autofahrer generell vor der Durchfahrt fürchten. Der Tiergartentunnel ist zwar immerhin der längste innerstädtische Straßentunnel in Deutschland, ausgestattet ist er aber mit modernster Sicherheitstechnik.

Selbst der Stuttgarter Verkehrspsychologe Wolfgang Schneider hat keine schlüssige Erklärung für die Zurückhaltung der Autofahrer. Ein wenig weiterhelfen kann immerhin der Berliner Verkehrsplaner Christfried Tschepe. Die Verkehrswissenschaft lehre, dass es ein halbes bis ein ganzes Jahr dauern könne, ehe neue Verbindungen angenommen werden, sagte er. Diese Erfahrungen machten auch die BVG oder die S-Bahn bei neuen Strecken. So ist die im Februar 2005 eröffnete Strecke der S-Bahn von Lichterfelde Süd nach Teltow bisher weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Statt der vorhergesagten 10 000 Fahrgäste täglich steigen bisher nur etwa 5000 in die Züge. Allerdings war der Betrieb durch Bauarbeiten von Anfang an erheblich eingeschänkt, was sich erst Ende Mai ändern wird.

Zumindest auf den restlichen Verkehr scheint der Tunnel sich auszuwirken. Michael Hammel von der Traffic Service Berlin, die aus der Luft den Verkehr auf den Straßen der Stadt beobachtet, hat festgestellt, dass sich die Situation in der Umgebung, vor allem auf der Straße des 17. Juni, „sehr entspannt“ habe. Und das wollten die Planer schließlich erreichen.

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