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Berlin: Ankunft im Güterwaggon

Heute vor 60 Jahren kehrten 295 jüdische Exilanten aus Schanghai ins zerstörte Berlin zurück

Bei der Abreise hatten sich im Hafen von Shanghai unschöne Szenen abgespielt, wie sich die damals 15-jährige Rita Metis Opitz erinnert: „Andere Emigranten, die also nach Amerika oder sonst wohin gingen, hatten sich dort am Kai versammelt, und dann wurde das Schiff direkt mit Steinen beworfen. Wir wurden beschimpft, als wir aufs Schiff gingen, ja, als Verräter und Faschistenfreunde und so etwas.“

Mehr als 15 000 Juden hatten sich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in die chinesische Hafenstadt flüchten können, die keine Einreiseerlaubnis verlangte und daher für viele der letzte Ausweg war. Rund 650 Exilanten kehrten nach dem Krieg nach Mitteleuropa zurück, darunter auch jene 295 jüdischen Heimkehrer, die heute vor genau 60 Jahren in Berlin ankamen. „Wir brauchten aus Schanghai nicht fortzugehen, aber es hat uns hergezogen“, sagte einer der Heimkehrer damals dem Tagesspiegel.

Eine wochenlange Seefahrt auf dem umgebauten Truppentransporter „Marine Lynx“ und eine mehrtägige Bahnreise aus Neapel, in einem Sonderzug mit 39 Güterwagen, lagen hinter ihnen. Die Fahrt endete auf dem Görlitzer Bahnhof, auch die „Wochenschau“ hatte ein Kamerateam geschickt. Die Rückkehrer wussten natürlich, was sie erwartete und waren doch schockiert: „Ich kann mich erinnern, kurz vor Berlin, also ich stand an der Waggontür und habe rausgeguckt, was da nun los ist. Ich dachte, Mondlandschaft. Das war mein Eindruck. (...) Sie können sich gar nicht vorstellen wie Berlin 1947 aussah, nicht, gerade am Bahnhof Zoo, diese Gegend und Gedächtniskirche, es war kaputt, alles.“ So schildert es der damals zwölfjährige Peter Konicki.

Die Heimkehrer wurden erst in Baracken der Reinickendorfer ArgusMotorenwerke untergebracht. Die meisten, so wurde damals berichtet, kamen später bei Verwandten unter, wenn diese nicht mehr lebten, wurden sie von karitativen Organisationen betreut. Begrüßt hatte sie Ferdinand Friedensburg, der stellvertretende Oberbürgermeister: „Unsere jüdischen Freunde sind zu uns zurückgekehrt, nicht um hier inmitten einer verarmten, verängstigten, bedrückten Bevölkerung nun selbst ein sorgenfreies Leben zu führen, sondern um mit uns die Nöte, unseren Kummer, unsere Sorgen, unseren Hunger zu teilen. Dafür seien sie herzlich bedankt.“ Andreas Conrad

Die Zitate entstammen dem gerade erschienenen Band „Shanghai-Geschichten. Die jüdische Flucht nach China“ (Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin. 260 Seiten, 24 Euro), in dem der US-Historiker Steve Hochstadt zwölf ehemalige Flüchtlinge nach ihren Erinnerungen befragt.

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