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Berlin: Annegret Bek (Geb. 1968)

„Was tue ich hier eigentlich?“, fragte sie sich und wusste die Antwort längst

Sie wollte endlich an einem Ort ankommen. Nach Jahren in Afrika, in Angola, im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik, im Kongo und wieder im Tschad. Zurückkommen aus Gegenden, in denen die Camps der Hilfsorganisationen überfallen werden, Geländewagen, Geld, Telefone verschwinden, in der Nacht oder am hellen Tag, wo zwischen Militärs, Rebellen, Stammesangehörigen und Banditen kaum unterschieden werden kann. In denen die Helfer hinter hohen Mauern leben, in Lehmhütten ohne Fenster, die Freunde, die Familie tausende Kilometer entfernt.

Aber es ist Afrika. Nach Afrika wollte Annegret schon immer, unbedingt. Wünschte sich Freiheit, Unabhängigkeit, Luft zum Atmen. In Afrika konnte sie atmen, „dort roch es schon am Flughafen so besonders“.

In Adé, im Tschad, koordinierte Annegret als Projektleiterin von Ärzte ohne Grenzen die medizinische Nothilfe für etwa 15 000 Menschen. Im Frühling 2008 fühlte sie sich kraftlos, der Kopf schmerzte. Vermutlich eine tropische Infektionskrankheit, dachte sie, diese unaufhörliche Hitze, das Essen, immer nur Bohnen und Reis. Sie arbeitete weiter. Bemerkte irgendwann geschwollene Stellen, am Hals, am Rücken. Und ließ sich endlich untersuchen. Sie müssen sofort in ein Krankenhaus, sagte der Arzt. Rebellen überfielen das Lager erneut. Die Helfer wurden evakuiert, der Bau einer chirurgischen Station unterbrochen, Annegret flog zurück nach Berlin. In der Charité sagten die Ärzte: Sie haben Krebs, unheilbar, wir können nur noch ihre Schmerzen lindern.

Annegret war klug und schön. Jeder, der sie traf, verliebte sich ein wenig in sie. Sie sprach französisch, englisch, italienisch, portugiesisch. Fuhr schon als junge Frau mit alten Autos durch Afrika, später nach Rumänien, Nepal und Ecuador. Sie liebte Bach und Rachmaninov. Las. Studierte, um sich weiterzubilden, ab 2007 Public Health in Edinburgh. Lieferte brillante Analysen der politischen Zustände in den Krisengebieten. Jemand beschrieb sie einmal als unwiderstehlich und kompromisslos.

Einmal, in Adé, hatte sie, die Frau, einen mächtigen Mann, einen Abgesandten der tschadischen Regierung des Krankenhauses verwiesen. Er hatte sich geweigert, seine Waffen abzulegen. Und musste wieder gehen. Eine Schmach für ihn.

„Was, zum Teufel, tue ich hier eigentlich“, fragte sie sich zuweilen. Und kannte immer schon die Antwort: „Man sieht genau, was man macht, man kann das Ergebnis direkt angucken, wann immer man vor die Tür geht.“

Fotografin hatte Annegret zunächst werden wollen. Lernte im Lette-Verein und erhielt auch Aufträge. Doch zum Leben reichte es nicht. Sie suchte einen Rahmen für ihr Leben. Und wurde Krankenschwester. Nach der Ausbildung bewarb sie sich bei Ärzte ohne Grenzen und ging nach Afrika. Andere Sprachen sprechen, fotografieren, helfen, hier fand sie, wonach sie gesucht hatte.

In den Zeiten zwischen den Einsätzen kehrte sie zurück nach Berlin. Erfüllt und erschöpft. Mit neuen Fotos, die sie auf Papier zog und in einer Galerie in der Greifswalder Straße ausstellte, Bekannte, Freunde, ihre Geschwister kamen, es gab Suppe und Wein.

Krebs, unheilbar. Ein Jahr hatte Annegret noch. In den Zeiten, in denen es ihr gut ging, reiste sie wieder, nach Nizza, Irland, Paris. Als sie nicht mehr reisen konnte, ging sie in die Oper und lud ihre Freunde zum Essen ein. Sie hörte afrikanische und südamerikanische Lieder, überall in der Wohnung standen bunte Blumen. Sie lies ihren Kopf nicht stillstehen, beschäftigte sich mit den Menschen in Afrika, las Bücher über Menschenrechte. Fuhr eines Tages nach Nauen und wählte eine Grabstelle aus.

Sie liegt unter einer Buche, gen Süden. Tatjana Wulfert

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