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Wie war mein Unterricht? Diese Frage können sich Berliner Lehrer von ihren Schülern anonym per Fragebogen beantworten lassen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Anonyme Beurteilung: Berlins Lehrer sollen mehr Noten bekommen

Seit Jahren sollen sich Lehrer und Schulleiter anonym beurteilen lassen. Die Resonanz ist jedoch schleppend. Jetzt soll die „Selbstevaluation“ verbindlicher werden – auch wegen der schlechten Leistungen Berliner Schüler.

Sie stehen im Netz, gelten als hilfreich und werden doch gemieden wie die Pest: die anonymen Fragebogen, mit denen Berlins Lehrer, Schulräte und Rektoren ihre Arbeit beurteilen lassen könnten. Nur ein einziger Schulrat war 2015/16 bereit, sich der Einschätzung der Schulleitungen in seinem Bezirk zu stellen; nur 13 Schulleiter mochten wiederum ihr Kollegium befragen. Dies ergab eine Tagesspiegel-Anfrage bei der Bildungsverwaltung.

Auch die Lehrer bleiben hinter den Erwartungen zurück: Von knapp 30.000 Berliner Pädagogen wollten vergangenes Schuljahr nur rund 1000 wissen, was ihre Schüler über ihren Unterricht denken, obwohl das Institut für Schulqualität Berlin-Brandenburg (ISQ) gutes Fragenmaterial entwickelt hat, mit denen man alle Aspekte des Unterrichtsgeschehens ausleuchten könnte.

Der sogenannten Selbstevaluation wird international und national unterschiedlich viel Bedeutung beigemessen, wenn man Qualitätsverbesserungen erreichen will. Jedenfalls wollte schon der vorige Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) eine verbindliche Bewertung der Lehrer durch die Schüler durchsetzen: Alle zwei Jahre, so entschied er zum Ende seiner Amtszeit 2011, sollte sich jeder Lehrer Zeit für die Fragebogenaktion nehmen: Mehr als 25 Minuten muss die Aktion nicht dauern.

Scheeres will eine "größere Verbindlichkeit" der Selbstevaluation

Wenn diese Pflicht tatsächlich durchgesetzt worden wäre, müsste seither rund 70.000 Mal das ISQ-Portal genutzt worden sein; stattdessen waren es jetzt nach fünf Jahren insgesamt nur etwas über 12.000 Zugriffe, besagt die Zählung des ISQ. Offenbar hatte Zöllners Nachfolgerin Sandra Scheeres (SPD) in den vergangenen fünf Jahren das hoch gelobte Portal aus den Augen verloren.

Das soll nun anders werden: Kaum waren die neuen verheerenden Ergebnisse der Berliner Acht- und Neuntklässler in der neuen Länderstudie und bei den Vergleichsarbeiten Vera 8 bekannt geworden, ließ Scheeres mitteilen, sie halte es für „sinnvoll, das Instrument der Selbstevaluation weiter zu stärken“. Bei den Lehrkräften sei ja immerhin eine „positive Entwicklung erkennbar“, was die Nutzung angehe. Da dies bei den Schulleitern und Schulräten nicht so ist, will Scheeres bei ihnen jetzt eine „größere Verbindlichkeit“ durchsetzen – sofern sie wieder Schulsenatorin wird.

Schwache Schulen gezielter fördern

Und noch in einem weiteren Punkt schlägt Scheeres offenbar die Brücke zu Zöllners damaligen Vorschlägen, die er dann zum „Qualitätspaket“ bündelte: Sie kündigte wegen der Berliner Leistungsschwäche am Freitag an, dass Problemschulen künftig schneller durch die Schulaufsicht Unterstützung bekommen sollen, wenn mehrere Probleme wie eine hohe Abbrecher- und Schwänzerquote zusammenkommen. Schwache Schulen sollen also gezielter angegangen werden. Zöllner hatte schon 2010 eine Expertenkommission einberufen, die empfahl, dass man das „leistungsschwächste Fünftel“ der Schulen ermitteln und mit „Zielvereinbarungen“ besonders unterstützen sollte. Davon war nie wieder etwas zu hören. Stattdessen kam das Bonusprogramm, das aber nicht gezielt das „leistungsschwächste Fünftel“ versorgt, sondern Geld nach Migranten- und Sozialstatus zuteilt.

So funktioniert das Institut für Schulqualität

DAS INSTITUT

Als eine Folge des schwachen deutschen Abschneidens bei der Pisa-Studie wurde 2006 das Institut für Schulqualität (ISQ) Berlin-Brandenburg gegründet und an die Freie Universität angedockt – nicht zu verwechseln mit dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das bundesweit tätig ist und gerade erst den neuen Ländervergleich präsentiert hat.

Das ISQ versteht sich als „wissenschaftlicher Dienstleister“ und ist etwa zuständig für die Auswertung der Vergleichsarbeiten Vera 3 und Vera 8, für die zentralen Prüfungen wie Abitur, Mittlerer Schulabschluss und Berufsbildungsreife, die Schulinspektionen und auch für das Portal zur Selbstevaluation. Das ISQ veröffentlicht seine Ergebnisse stets erst nach Absprache mit den Landesregierungen – seinen Auftraggebern.

DAS PORTAL

Die Leitfrage, die über der Selbstevaluation steht, lautet „Wie gut ist unsere Schule?“ Um das herauszufinden, liefert das ISQ Dutzende Fragebögen, aus denen sich diejenigen, die sich bewerten lassen wollen, die passenden aussuchen und ihren „Kunden“, also den Schülern, Lehrern oder Schulleitern vorlegen können.

Der Lehrer etwa hat die Wahl zwischen Fragebögen, die sich mit allgemeinen Aspekten des Unterrichts beschäftigen, also etwa ob der Lehrer deutlich spricht und den Unterricht spannend gestaltet, und weiteren Fragebögen, die sich direkt auf die einzelnen Fächer wie Deutsch, Mathematik, Griechisch oder Kunst, Musik und Sport beziehen.

Zudem gibt es getrennte Bögen für Grund- und Oberschüler. Die Fragebögen, mit denen Schulleiter ihre Leistung beurteilen lassen können, werden von den Lehrern ausgefüllt. Die Schulräte wiederum werden von den Schulleitern bewertet – wenn sie es denn wollen.

Die wenigsten Lehrer lassen sich gern von ihren Schülern bewerten.
Die wenigsten Lehrer lassen sich gern von ihren Schülern bewerten.

© dpa

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